Wie Anleger mit Zertifikaten Geld verlieren können
Vielleicht erinnern Sie sich noch: Infolge der Finanzkrise 2008 hatten zehntausende Bankkunden in Deutschland ihr Erspartes verloren, weil ihnen Bankberater vorher Zertifikate der US-Pleitebank Lehman Brothers verkauften. Darunter waren, wie eine Befragung der Hamburger Verbraucherzentrale ergab, viele Kunden und Kundinnen im Alter von mindestens 60 Jahren. Trotzdem laufen die Geschäfte mit Zertifikaten längst wieder sehr gut – offenbar mitunter auch mit älteren Menschen.
Zertifikate-Verkauf bei Sparkassen und VR-Banken boomt
"Der Vertrieb von komplexen und riskanten Zertifikaten boomt wieder", stellte die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg fest. Auffällig ist dabei, dass ausgerechnet viele Sparkassen landauf landab Zertifikate an die Frau und den Mann bringen, obwohl sich die Sparkassen eigentlich am Gemeinwohl orientieren sollen. So berichtete die Deka, das Investmenthaus der Sparkassen, bereits mehrfach über ihre hervorragend laufenden Geschäfte mit Zertifikaten. Auch die Volks- und Raiffeisenbanken sind im Verkauf von Zertifikaten sehr erfolgreich. Die Produkte kommen in Deutschland mittlerweile auf ein Marktvolumen von mehr als 100 Milliarden Euro.
Doch was für die einen, die Sparkassen und Banken, ein äußerst profitables und sicheres Geschäft ist, ist für die anderen, die Privatanleger und Anlegerinnen, eine hochriskante Wette, vor deren Risiken sogar die deutsche Finanzaufsicht Bafin warnt. Die Finanzaufsicht hatte im Mai 2024 angekündigt, den massenhaften Verkauf von Zertifikaten durch Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu untersuchen. Die Bafin will dabei nach eigenen Angaben prüfen, ob die Zertifikate-Offensive der Geldinstitute "im Einklang mit den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher" stehe.
Was sind Zertifikate?
Zertifikate sind rechtlich betrachtet eine Inhaberschuldverschreibung, deren Wertentwicklung sich an einem Basiswert orientiert, also einem Aktienindex wie dem Dax, dem Kurs einer Aktie oder dem Preis eines Rohstoffes wie Gold oder Öl. Daher auch der Name, der vom lateinischen Wort "derivatum" ("abgeleitet") stammt. Anlegerinnen und Anleger leihen mit einem Zertifikat also einer Bank Geld. Was sie davon zurückbekommen, ob sie Geld verdienen oder verlieren, hängt von der Entwicklung des Basiswertes ab, verbunden oft mit weiteren Bedingungen. Dass Anleger dabei ein erhebliches Börsenrisiko eingehen, werde aber "nicht sofort deutlich", heißt es bei Stiftung Warentest.
Viele Zertifikate seien "wahre Kunstwerke der Verschachtelung. Ihre Verzinsung oder Fälligkeit ist an zig Bedingungen geknüpft, die die meisten Anleger völlig überfordern."
Zertifikate häufig zu teuer und intransparent
Auch gebe es viele "versteckte Kosten". So blieben "Dividenden bei Zertifikaten, die sich auf Aktien oder Börsenindizes beziehen, oft beim Anbieter", kritisieren die Warentester. Biallo.de schätzt, dass im Vergleich zu ETF-Produkten bei Zertifikaten etwa das Acht- bis Zehnfache an Kosten anfällt. Die Verbraucherzentralen wiesen darauf hin, dass die zum Teil sehr komplexen Auszahlungsbedingungen von Zertifikaten sich jetzt immer häufiger im Mantel vieler sogenannter indexgebundener privater Rentenversicherungen finden, die eigentlich der Altersvorsorge dienen sollen.
Die Banken stellen bei ihrer Werbung für die Zertifikate oft hohe Zinsen von sechs, sieben, acht oder mehr Prozent in Aussicht. So war es auch bei der 80-jährigen Sparkassenkundin. Sie verlangte in einem Beratungsgespräch "Zinsen". Der Berater legte ihr daraufhin acht verschiedene Zertifikate ins Wertpapierdepot, das ein Experte des Fondsvermittlers Envestor analysierte. Demnach machten die Zertifikate zum Start 80 Prozent des Depotvolumens aus, "Diversifikation sieht anders aus", urteilte Envestor und spricht von einer "eklatanten Falschberatung". Mehr als einem Jahr nach dem Kauf wiesen drei der Zertifikate mittlere zweistellige Verluste von bis zu 35 Prozent auf, vier lagen leicht im Minus, ein Zertifikat verzeichnete Kursgewinne von 20 Prozent, so die damalige Analyse.