Die meisten Experten hatten damit gerechnet – und doch ist es außergewöhnlich: Mit einem "Jumbo-Zinschritt" von 0,75 Prozentpunkten hat die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag ihren Leitzins auf 2,00 Prozent angehoben. So hoch war der wichtigste Zinssatz der Notenbank seit Januar 2009 nicht mehr. Der jetzige Zinsschritt war bereits der zweite Anstieg um 0,75 Prozentpunkte in Folge. Eine so starke Erhöhung des Leitzinses hatte es davor in der Geschichte der EZB noch nie gegeben.
Insgesamt hat die Zentralbank seit Juli dieses Jahres die Zinsen bereits drei Mal erhöht. Die Währungshüter machten am Donnerstag klar, dass sie zu weiteren Zinserhöhungen bereit seien: Der EZB-Rat "geht davon aus, dass er die Zinsen weiter anheben wird", hieß es. Grund dafür ist die hohe Inflation. In Deutschland lag die Teuerung im Oktober vorläufigen Daten zufolge bei 10,4 Prozent nach 10,0 Prozent im September. Ähnliche Zahlen gelten für die Eurozone.
Mit den höheren Zinsen möchte die EZB die Preissteigerung eindämmen. Der rasche Zinsanstieg wirkt sich aber auf Anleger und Sparer aus: Er beeinflusst die Börsen genauso wie die Zinsen für Tages- oder Festgeld. Doch wie hoch steigen die Zinsen noch? Und was bedeutet das für Aktien und Zinsanlagen? Biallo.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie geht es bei den Zinsen weiter?
Auch ein Zinssatz von 2,00 Prozent reicht noch nicht aus, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. EZB-Chefin Christine Lagarde machte am Donnerstag klar: Es seien weitere Zinserhöhungen "in der Pipeline". Doch wie oft und wie schnell die EZB an der Zinsschraube drehe, sei offen. Kapitalmarktexperten rechnen in den kommenden Monaten mit weiteren Zinsschritten. Für Dezember sagen sie eine erneute Erhöhung voraus – auf 2,50 Prozent.
Uneinigkeit herrscht aber darüber, wie es 2023 weitergeht. Die Privatbank MM Warburg etwa rechnet damit, dass der EZB-Leitzins bis März auf 3,00 Prozent ansteigt und dort erst einmal bleibt. Die DZ Bank – das Zentralinstitut der Genossenschaftsbanken – prognostiziert "in der Spitze" einen Anstieg auf 2,75 Prozent. Die Investmentbank J.P. Morgan geht zum Ende dieses Jahres von 2,50 Prozent aus. Danach "dürfte es zu einer Beruhigung auf diesem Niveau kommen", meint Tilmann Galler, Kapitalmarktexperte bei J.P. Morgan.
Tatsächlich rechnen Marktbeobachter damit, dass im nächsten Jahr bald Schluss sein könnte mit weiteren Erhöhungen. Grund dafür ist die schwierige wirtschaftliche Lage, in der sich Europa und die Weltwirtschaft befinden. Steigende Zinsen bremsen die Konjunktur und erhöhen die Gefahr einer Rezession – unter anderem, weil sie die Kreditaufnahme für Unternehmen und damit auch Investitionen verteuern. Gleichzeitig keimt die Hoffnung auf, dass die Inflation ihren Höhepunkt bald erreicht haben könnte. Damit "verliert die Begründung für weitere drastische Zinserhöhungen etwas an Gewicht", meint Martin Wollburg, Volkswirt bei Generali Investments.
Ähnliches gilt für die USA. Dort hat die Notenbank Fed die Zinsen seit März bereits fünf Mal angehoben – zuletzt um 0,75 Prozentpunkte auf eine Spanne von jetzt 3,00 bis 3,25 Prozent. Bis zum Jahresende rechnen Experten mit einer weiteren Erhöhung auf bis zu 4,00 Prozent. Bis zur Jahresmitte 2023 könnte der Zins auf 4,50 Prozent steigen, heißt es bei MM Warburg.
Auch in den USA könnte es jedoch bald zu einem Ende der Zinswende kommen. Gründe auch hier: die schwächelnde Konjunktur und die nachlassende Inflation. Insgesamt wachse daher "der Druck auf die Fed, den Bogen nicht zu überspannen", sagt Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.