Georg Huber1 ist außer sich: „Da ist man seit mehr als 30 Jahren Kunde bei der Sparkasse und dann so was!“ Der 70-jährige Rentner aus dem Münchner Süden liegt im heftigen Streit mit seiner Hausbank, der Kreissparkasse München Starnberg Ebersberg. Grund: Das Geldhaus will ihm ein sogenanntes Verwahrentgelt in Höhe von 0,60 Prozent für Guthaben auf dem Tagesgeld- und Girokonto berechnen. Der Gesamtfreibetrag, der von den Strafzinsen ausgenommen ist, soll bei 25.000 Euro liegen.
Negativzinsen: Banken und Sparkassen drohen mit Kündigung
Auf einen Blick
- Rund 550 Banken und Sparkassen kassieren mittlerweile Negativzinsen für Guthaben auf dem Tagesgeld- oder Girokonto.
- Auch langjährige Bestandskunden erhalten zunehmend Post von ihrer Hausbank, dass sie eine Rahmenvereinbarung zur Einführung eines Verwahrentgelts unterschreiben sollen.
- Wer sich weigert, die Vereinbarung zu unterschreiben, muss mit Kündigung seitens der Bank rechnen.


Rahmenvereinbarung zum Verwahrentgelt
Herr Huber macht in mehreren Gesprächen mit der Filialdirektion deutlich, dass er dem Verwahrentgelt nicht zustimmen wird. Schließlich erhält er Anfang Dezember ein Schreiben von der Kreissparkasse. Darin setzt ihm das Geldhaus eine Frist von drei Wochen, in der er entweder eine „Rahmenvereinbarung über ein Verwahrentgelt“ unterschreiben oder das Kontoguthaben dauerhaft unter die genannten Höchstbeträge reduzieren soll. Zumindest bei den Freibeträgen kommt ihm die Kreissparkasse entgegen: Statt der ursprünglichen 25.000 Euro gewährt sie Herrn Huber einen Freibetrag von 50.000 Euro für Sichteinlagen und setzt die Höchstgrenze bei Spareinlagen ebenfalls auf 50.000 Euro fest.
Georg Huber unterschreibt die Rahmenvereinbarung trotzdem nicht. „Schließlich haben die Sparkassen gemäß Sparkassengesetz den Auftrag‚ ‚der Bevölkerung Gelegenheit zur sicheren und verzinslichen Anlegung von Ersparnissen und anderen Geldern zu geben‘. Diese Pflicht wird durch das Verwahrentgelt pervertiert“, sagt Huber. Der Rentner schreibt stattdessen Beschwerdebriefe an das Bayerische Innenministerium, den Landrat – der als Verwaltungsratsvorsitzender die Kreissparkasse beaufsichtigt – sowie an den Vorstandsvorsitzenden.
Kreissparkasse droht mit Kündigung
„Die Reaktion darauf ist sehr bedeckt“, so Huber. Immerhin erhält er vom Vorstand Mitte Dezember ein Antwortschreiben, das unserer Redaktion vorliegt. Darin verweist die Geschäftsleitung auf die „seit vielen Jahren andauernden Niedrig- und Negativzinsen“, auf die man jetzt reagieren müsse – und kündigt zugleich Konsequenzen an: „Bitte haben Sie Verständnis, dass die Kreissparkasse zur Abwendung der damit verbundenen Kosten gezwungen ist, Geschäftsverbindungen zu beenden, bei denen hohe Einlagen ohne angemessene Vergütung eines Verwahrentgelts unterhalten werden. Dies wollen wir gerne vermeiden, indem Sie beispielsweise einen Teil Ihres Guthabens längerfristig anlegen.“
Auf das Beratungsgespräch für alternative Anlagelösungen verzichtet Huber. Er möchte sein Geld nicht in Fonds anlegen, die in solchen Kundengesprächen üblicherweise empfohlen werden. „So einen langen Zeithorizont habe ich nicht mehr, ich bin ja schon Rentner und möchte daher nicht mehr groß ins Risiko gehen“, erklärt Huber. Einen Großteil seiner Aktienanlagen hat er ohnehin im Frühjahr 2020 während des Corona-Crashs aufgelöst, um seine Reserven für die Altersvorsorge zu sichern. „Wahrscheinlich wird meine nächste Diskussion jetzt mit der Postbank beginnen, bei der ich auch Konten habe und auf die ich das Geld überwiesen habe.“
Mit dieser Annahme dürfte der Münchner Rentner auf jeden Fall Recht behalten. Denn das Beispiel der Kreissparkasse München Starnberg Ebersberg steht stellvertretend für die gesamte Branche. Das belegen die zahlreichen Leserzuschriften, die wir in den vergangenen Wochen erhalten haben. Die Postbank etwa drohte bereits im Sommer dieses Jahres langjährigen Bestandskunden mit der Kündigung, wenn diese sich weigerten, eine Vereinbarung zur Einführung eine Verwahrentgelts zu unterschreiben. Der Strafzins in Höhe von 0,50 Prozent greift bei der Postbank ab 50.000 Euro auf dem Girokonto und ab 25.000 Euro auf dem Tagesgeldkonto.
Strafzins von 0,60 statt 0,50 Prozent
Wir haben bei der Kreissparkasse München Starnberg Ebersberg nachgefragt, warum sie das Verwahrentgelt höher ansetzt als die Europäische Zentralbank. Diese berechnet den Geldhäusern einen negativen Einlagensatz in Höhe von minus 0,50 Prozent, wenn sie kurzfristig Liquidität bei der EZB parken. „Die Entgegennahme von Einlagen verursacht neben deren Wiederanlage verschiedene weitere Kosten, zum Beispiel für die Einlagensicherung und die staatliche Bankenabgabe. Die aktuelle Höhe des Verwahrentgelts von 0,60 Prozent entspricht dem Minimum des derzeit kalkulatorisch Erforderlichen“, so die Antwort der Kreissparkasse. Übrigens: Für Geschäftskunden greift der Strafzins bereits ab dem ersten Euro.
Das Geldhaus rechnet im laufenden Jahr mit vereinnahmten Verwahrentgelten in Höhe von rund elf Millionen Euro. Welchen Zinsbetrag die Kreissparkasse im Gegenzug an die EZB entrichten muss, dazu hält sich das Institut bedeckt: „Vorrangig reichen wir kurzfristige Kundeneinlagen als langfristige Darlehensmittel aus. Etwaige Überhänge legen wir am Geld- und Kapitalmarkt an, über den wir bei Bedarf aber auch weitere Refinanzierungsquellen neben dem Kundengeschäft nutzen“, heißt es. „Im Rahmen dieser banküblichen Steuerung des Eigengeschäfts bestehen komplexe Zusammenhänge, die sich mit der angefragten Summe von Zinszahlungen an die EZB nicht sinnvoll beschreiben lassen.“
Das Geschäft mit den Negativzinsen
Kritische Experten monieren, dass Banken und Sparkassen durch die umfangreichen Freibeträge, die ihnen die EZB seit gut zwei Jahren einräumt, mit dem Verwahrentgelt sogar noch ein Geschäft machen. Schließlich ist neben der jeweiligen Mindestreservepflicht (ein Prozent der Kundeneinlagen) auch das Sechsfache dieses Betrags von Negativzinsen befreit. „Das bedeutet: Für die Banken fallen Negativzinsen nur an, wenn und soweit ihre eigenen Einlagen bei der Zentralbank sieben Prozent der bei ihnen unterhaltenen Kundeneinlagen übersteigen“, sagt der Wiesbadener Bankenrechtsexperte Claus Steiner im Interview mit biallo.de.
Steiner stellt eine Beispielrechnung auf: Eine Bank XY verwahrt Kundeneinlagen in Höhe von zehn Milliarden Euro, wovon zehn Prozent – also eine Milliarde Euro – bei der EZB geparkt werden. Strafzinsen fallen allerdings nur für 300 Millionen Euro an, denn die restlichen 700 Millionen Euro (1,0 Prozent Mindestreserve plus das Sechsfache davon) sind freigestellt. Somit belaufen sich die Zinszahlungen an die EZB insgesamt auf 1,5 Millionen Euro. Würde man diesen Eigenaufwand nur auf die Hälfte der Kundeneinlagen umlegen (da die Bank selbst Freibeträge einräumt), läge die Negativzins-Belastung lediglich bei 0,03 Prozent – also bei 30 Euro pro 100.000 Euro Einlage.
„Wenn die Banken aber auf diese Hälfte ihrer Kundeneinlagen 0,5 Prozent Negativzinsen erheben, nehmen sie damit das etwa Siebzehnfache ihres Eigenaufwands an Negativzinsen ein und können mithin das Sechzehnfache ihrer eigenen Zinsüberschussrechnung zuführen“, sagt Steiner. „Das ist zwar nicht verboten, wirft aber gleichwohl die Frage der Angemessenheit auf.“
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