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Ratgeber der Woche

So punkten Pflegebedürftige bei der Begutachtung

Manfred Fischer
Autor
Veröffentlicht am: 27.07.2018

Auf einen Blick

  • Welche Leistungen die Pflegeversicherung zur Verfügung stellt, hängt vom Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ab.
  • Der MDK begutachtete im vergangenen Jahr 1,6 Millionen Menschen. Rund 110.000 legten Widerspruch gegen den Bescheid ein, weil ihnen kein Pflegegrad zuerkannt oder eine Höherstufung verweigert wurde.
  • Ratsam ist es, für den Gutachter eine Liste zusammenzustellen, aus der hervorgeht, wann am Tag welche Hilfe geleistet werden muss.
  • Die Höhe des Pflegegrades ergibt sich aus den Bewertungspunkten, die der Gutachter bei insgesamt 64 Kriterien verteilt.
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Welche Leistungen die Pflegeversicherung zur Verfügung stellt, hängt vom Gutachten des medizinischen Dienstes ab. Doch damit ist das so eine Sache: Das Begutachtungsverfahren ist komplex, viele pflegebedürftige Menschen und Angehörige sind darauf nicht vorbereitet, und die Gutachter machen sich schnell ein Bild. Am Ende steht häufig ein Ergebnis, das den Pflegebedarf geringer erscheinen lässt, als er ist.

Die Höhe des Pflegegrades ergibt sich aus den Bewertungspunkten, die der Gutachter bei insgesamt 64 Kriterien verteilt. Die Kriterien sind in sechs Themenbereiche, die "Module des Begutachtungsinstruments", gegliedert. Betroffene können verhindern, dass Punkte unter den Tisch fallen, wenn sie Module und Bewertungsschema kennen. "Ein Punkt mehr oder weniger bei dem einen oder anderen Einzelkriterium kann ausschlaggebend sein", betont Daniela Hubloher von der Verbraucherzentrale Hessen im Interview (siehe Abschnitt 6).

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Die Frage der Vorbereitung

Durch das zweite Pflegestärkungsgesetz, das seit Januar 2017 gilt, und das damit verbundene neue Begutachtungsverfahren, erhalten mehr Menschen als vorher Leistungen der Pflegeversicherung. Die Reform kommt vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Demenz zugute.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) verzeichnete 2017 gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg um mehr als 300.000 Leistungsempfänger. Knapp 1,6 Millionen Versicherte - Erstanträge plus Anträge auf Höherstufung - begutachtete er nach dem neuen Verfahren. 12,7 Prozent bekamen laut MDK keinen Pflegegrad. Die Pflegegrade 1 bis 5 wurden 17,3, 29,1, 22,3, 12,9 und 5,8 Prozent zugesprochen. Der Anteil der Widersprüche gegen den Bescheid lag bei 6,8 Prozent.

Der medizinische Dienst der privaten Krankenversicherungen, Medicproof, erstellte im vergangenen Jahr mehr als 172.000 Pflegegutachten - ein Plus von gut sieben Prozent im Vergleich zu 2016. Mehr als 77.000 davon waren Erstgutachten nach dem neuen Verfahren. Rund 7.000 (neun Prozent) ergaben keinen Pflegegrad. Gegen rund fünf Prozent aller Einstufungsgutachten wurde Widerspruch erhoben, teilt Medicproof mit.

An der Begutachtungspraxis entzündet sich Kritik. Private Pflegeberater sprechen von zahlreichen fehlerhaften Gutachten. Sie berichten von Gutachtern, die unter hohem Zeitdruck stehen und während des Hausbesuchs nicht genug nachfragen. Sie sagen, Ungereimtheiten in Bewertungen blieben oftmals unwidersprochen, ein Großteil der Betroffenen scheue den Aufwand eines Widerspruchsverfahrens.

Medizinischen Dienste raten zur Vorbereitung auf die Begutachtung

Hauptgrund sei, dass immer wieder pflegebedürftige Menschen beim Hausbesuch "nicht alle Informationen über ihren Unterstützungs- und Hilfebedarf mitteilen", erklärt der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS). "Im Nachgang wenden sich dann Angehörige an den MDK und reichen Unterlagen ein, die zu einer anderen Einschätzung des Pflegegrads führen können."

Die medizinischen Dienste und andere Experten raten Antragstellern, sich auf die Begutachtung vorzubereiten. Bei dem Termin geht es nicht primär darum, woran jemand wie schwer erkrankt ist, sondern um die Folgen, die Erkrankungen im Hinblick auf die Pflege nach sich ziehen. Dem Gutachter sollte im Einzelnen dargelegt werden, was ohne Hilfe im Alltag nicht mehr zu schaffen ist.

Wichtig ist, dass ein Angehöriger oder Mitarbeiter des Pflegedienstes dabei ist. Dies einmal, weil bei einigen Kriterien eine Fremdanamnese unverzichtbar ist. Beispielsweise bei der Frage, ob der Betreffende geistige oder psychische Einschränkungen hat. Oder ob er nachts das Bett verlässt und zurückgebracht werden muss.

Angehörige oder Pfleger können auch besser schildern, wie stark sich dessen Verfassung im Tagesverlauf oder von Tag zu Tag verändert. Und sie können, falls es sein muss, Angaben, die Pflegebedürftige selbst machen, ins rechte Licht rücken. Niemand gibt etwa gerne zu, dass er nicht mehr alleine auf die Toilette gehen kann.

Das zählt für den Gutachter

Zu Hause, im Alten- oder Pflegeheim – immer ist es eine Momentaufnahme. Die Mitarbeiter des medizinischen Dienstes machen sich bei ihrem Besuch ein Bild davon, inwieweit jemand selbstständig zurechtkommt und welcher Hilfe er bedarf. Sie benötigen dafür nicht mehr als eine Stunde. Das Bild setzt sich aus sechs Teilbildern zusammen, den "Modulen des Begutachtungsinstruments". Diese Module sind mit einem Punkteschema unterlegt. Je geringer der Grad der Selbstständigkeit ist, desto mehr Punkte vergibt der medizinische Dienst. Das bilden die Module ab:

Mobilität: Der Gutachter schätzt Körperkraft, Balance und Bewegungskoordination. Er untersucht, ob der hilfsbedürftige Mensch seine Körperhaltung selbstständig ändern und sich im häuslichen Umfeld fortbewegen kann. Die Checkliste enthält fünf Kriterien wie "Positionswechsel im Bett", "Umsetzen" und "Treppensteigen".

Für jedes Kriterium entscheidet der Gutachter, ob der Betreffende es "selbstständig" (0 Punkte), "überwiegend selbstständig" (1 Punkt), "überwiegend unselbstständig" (2 Punkte) oder "unselbstständig" (3 Punkte) erfüllt. Unter dem Strich können 15 sogenannte Einzelpunkte zusammenkommen (siehe Abschnitt 3: Von der Punktewertung zum Pflegegrad).

Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Dieses Modul ist auf das Denk-, Wahrnehmungs-, und Erinnerungsvermögen ausgerichtet. Zudem wird das Artikulationsvermögen erfasst. Der Gutachter hält sich an elf Kriterien. Zum Beispiel klärt er ab, wie es um die zeitliche und örtliche Orientierung steht, ob der Betreffende Aufforderungen versteht, sich an einem Gespräch beteiligen kann und ob er in der Lage ist, Entscheidungen im zu Alltag treffen.

Beurteilt wird jeweils, ob die Fähigkeit "vorhanden/unbeeinträchtigt" (0 Punkte), "größtenteils vorhanden" (1 Punkt), "in geringem Maße vorhanden" (2 Punkte) oder "nicht vorhanden" (3 Punkte) ist. 33 Einzelpunkte sind möglich.

Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Der Mitarbeiter des medizinischen Dienstes erkundigt sich nach psychischen Auffälligkeiten, die eine Unterstützung notwendig machen. 13 Kriterien sind in dem Modul aufgelistet. Dazu zählen beispielsweise nächtliche Unruhe, selbstschädigendes Verhalten, verbale und physische Aggressionen gegenüber anderen, Wahnvorstellungen und Antriebslosigkeit.

Es geht darum, wie häufig sich Derartiges zeigt. Bewertet wird nach: "nie oder sehr selten" (0 Punkte), "ein bis dreimal innerhalb von zwei Wochen" (1 Punkt), "zweimal bis mehrmals wöchentlich" (3 Punkte) und "täglich" (5 Punkte). Maximal 65 Einzelpunkte können vergeben werden.

Selbstversorgung: Dieses Modul beinhaltet zum einen Fragen zur Grundpflege. Etwa wie viel Unterstützung der Pflegebedürftige beim Waschen und An- bzw. Auskleiden braucht. Zum anderen wird danach gefragt, wie selbstständig er beim Essen und Trinken ist, sowie nach der Kontinenz. Kann er Nahrung klein schneiden, Wasser in ein Glas gießen? Kommt er gegebenenfalls mit dem Harnkatheter zurecht?

Das Bewertungsschema ist differenzierter als bei den ersten drei Modulen: "Selbstständig" bedeutet keinen Punkt, "überwiegend selbstständig" führt je nach Kriterium zu einem bis drei Punkten, "überwiegend unselbstständig" zu zwei bis sechs Punkten und "unselbstständig" zu drei bis neun Punkten. Insgesamt sind es 13 Kriterien, im äußersten Fall gibt es 54 Einzelpunkte.

Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: Medikation, Injektionen, Verbandswechsel, Umgang mit Brillen, Hörgeräten und Prothesen, Messung von Blutzucker, Temperatur oder Flüssigkeitshaushalt – solche Anforderungen kommen bei Modul Nummer 5 zur Sprache. Außerdem fragt der Gutachter nach Arzt- und Thera-peutenbesuchen. Er will wissen, bei welchen Maßnahmen der pflegebedürftige Mensch wie oft auf Hilfe angewiesen ist. Und auch, ob der Hausarzt Verhaltensregeln vorschreibt, etwa was die Ernährung betrifft.

Das Modul umfasst 16 Kriterien. Relevant sind Maßnahmen, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten vorgesehen sind. Ihre Bewertung erfolgt spezifisch: Sie werden je nach Komplexität zusammengefasst und es wird unterschieden, ob sie überwiegend täglich, überwiegend wöchentlich oder überwiegend mehrmals monatlich nötig sind. Aus den Häufigkeiten täglicher und wöchentlicher Maßnahmen wird jeweils der Durchschnitt ermittelt. Dieser wird mit Einzelpunkten bewertet, möglich sind jeweils drei.

Anders das Schema für Maßnahmen, die überwiegend mehrmals pro Monat anstehen: Ausschlaggebend ist hier auch, wie viel Zeit sie kosten. Ein zweites Punktesystem bildet diese zeitlichen Aufwände sowie die Häufigkeiten ab. Dieses Zwischenergebnis wird in die Einzelpunktewertung übertragen. Bis zu sechs Einzelpunkte errechnen sich mit dem Schema. Hinzukommen schließlich bis zu drei Einzelpunkte aus der Beurteilung, inwieweit der Pflegebedürftige eine Diät oder andere krankheitsbedingte Verhaltensregeln selbstständig einhalten kann. Ergibt für dieses Modul eine Höchstpunktzahl von 15.

Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Legt der Pflegebedürftige selbst fest, wann er etwa essen, baden oder ins Bett gehen will. Kann er sich selbst beschäftigen? Kann er über den Tag hinaus planen und Termine ins Auge zu fassen? Wie klappt die Kommunikation mit Angehörigen, Pflegern, Freunden und Bekannten? Diese und ähnliche Fragen sind in sechs Kriterien gebündelt. Der Gutachter beurteilt jeweils den Grad der Selbstständigkeit und vergibt null bis drei Punkte – insgesamt bis zu 16 Einzelpunkte.

Zusammen enthalten die sechs Module 64 Kriterien. Der Gesetzgeber hat sie in der Anlage 1 des Sozialgesetzbuches XI (§ 15) aufgelistet: www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbxi/anlage-1.

Von der Punktewertung zum Pflegegrad: So läuft die Berechnung

Die Beeinträchtigungen, die die Module widerspiegeln, wirken sich unterschiedlich auf den Pflegebedarf aus. Die Module werden daher bei der Berechnung des Pflegegrades individuell gewichtet. "Mobilität" beispielsweise fällt mit zehn Prozent ins Gewicht. "Selbstversorgung" zählt mit 40 Prozent am meisten (siehe Tabelle 1). Um dies abzubilden, werden die Einzelpunkte jeweils nach einer fünfstufigen Skala in gewichtete Punkte übertragen. Von Modul 2 und 3 zählt immer nur eines der beiden, und zwar jenes, das am meisten gewichtete Punkte ergibt.

Alle gewichteten Punkte addiert, können bis zu 100 als Ergebnis stehen. Wer bei der Begutachtung mit weniger als 12,5 abschneidet, erhält keinen Pflegegrad. Den höchsten, Pflegegrad 5, gibt es ab 90 Punkten (siehe Tabelle 2).

Lesen Sie auch: Entlastungsbetrag – Selten genutzte Leistung der Pflegeversicherung

Tabelle 1

Module

Gewichtung des Moduls

Punkte

Schweregrad der Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeit

keine

geringe

erhebliche

schwere

schwerste

Modul 1: Mobilität

10 %

Einzelpunkte

0 - 1

2 - 3

4 - 5

6 - 9

10 -15

Gewichtete Punkte

0

2,5

5

7,5

10

Modul 2: kognitive und kommunikative Fähigkeiten

15 %

Einzelpunkte

0 -1

2 -5

6 - 10

11 - 16

17 - 33

Modul 3: Verhaltensweisen psychische Problemlagen

Einzelpunkte

0

1 - 2

3 - 4

5 - 6

7 - 65

Modul 2 oder Modul 3 (Es zählt das Modul, das die höhere Punktzahl erbringt)

Gewichtete Punkte

0

3,75

7,5

11,25

15

Modul 4: Selbstversorgung

40 %

Einzelpunkte

0 - 2

3 -7

8 - 18

19 - 36

37 - 54

Gewichtete Punkte

0

10

20

30

40

Modul 5: Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen

und Belastungen

20 %

Einzelpunkte

0

1

2 - 3

4 - 5

6 - 15

Gewichtete Punkte

0

5

10

15

20

Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

15 %

Einzelpunkte

0

1 - 3

4 - 6

7 - 11

12 - 18

Gewichtete Punkte

0

3,75

7,5

11,25

15

Gewichtete Punkte je nach Schweregrad der Beeinträchtigungen: Für jedes Modul werden im ersten Schritt die Einzelpunkte addiert. Aus den Summenwerten werden anhand der fünfstufigen Skala die gewichteten Punkte ermittelt (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit).

Beispiel: Frau Müllers Einschränkungen werden in den Modulen 1 bis 6 mit folgenden Einzelpunkten bewertet: 4, 6, 2, 15, 2, 5. Gewichtet führt dies zu 5, 7,5, 20, 10, und 7,5 Punkten. (Die zwei Einzelpunkte aus Modul 3 fließen nicht in die Berechnung, da die sechs Einzelpunkte aus Modul 2 mehr gewichtete Punkte bringen). In der Summe ergeben sich 50 gewichtete Punkte. Das bedeutet Pflegegrad 3.

Tabelle 2

Intervalle mit gewichteten Punkten

Pflegegrad

Einschätzung

ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte

1

geringe Beeinträchtigungen

ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte

2

erhebliche Beeinträchtigungen

ab 47,5 bis unter 70 Punkte

3

schwere Beeinträchtigungen

ab 70 bis unter 90 Punkte

4

schwerste Beeinträchtigungen

ab 90 bis 100 Gesamtpunkte

5

schwerste Beeinträchtigungen mit besonderen Anforderungen an die Pflege

Pflegegrade nach gewichteten Punkten: Die Intervalle sind unterschiedlich - von Pflegegrad 1 zu 2 sind es 14,5 Punkte, zum nächsthöheren dann jeweils mindestens 20 Punkte (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit).

Einen leicht zu handhabenden Rechner bietet etwa der Sozialverband VdK Deutschland. Den "VDK-Selbsteinschätzungbogen mit Plegegradrechner" finden Sie auf der Website des Verbandes unter: https://www.vdk.de/

Das zahlt die Pflegeversicherung

Ein Pflegegrad bedeutet Geld. Wie viel, das hängt nicht nur von dessen Höhe ab, sondern auch davon, wer pflegt und wo das geschieht. Die Versicherung unterscheidet zwischen häuslicher und vollstationärer Pflege. Wer zu Hause betreut wird, kann entweder Pflegegeld oder Pflegesachleistungen oder sogenannte Kombinationsleistungen in Anspruch nehmen (siehe Tabelle 3).

Pflegegeld zahlt die Versicherung, wenn Angehörige, Freunde, Bekannte oder ehrenamtliche Pfleger den Betreffenden in seinen vier Wänden versorgen. Das Geld wird dem Pflegebedürftigen überwiesen. Um Pflegesachleistungen handelt es sich, wenn ein professioneller Pflegedienst die Arbeit übernimmt. Der Pflegedienst stellt seine Leistungen direkt bei der Pflegekasse in Rechnung.

Beides lässt sich kombinieren, und das flexibel. Wer Kombinationsleistungen wählt, kann festlegen, zu welchem Prozentsatz er Pflegegeld und Sachleistungen abschöpft. Ein Beispiel: Im Fall von Pflegegrad 3 stehen 1.298 Euro für Sachleistungen oder 545 Euro als Pflegegeld zur Verfügung. Entscheidet man sich für 75 Prozent Sachleistungen (973,50 von 1.298 Euro), zahlt die Versicherung noch 25 Prozent des Pflegegeldes aus (136,25 von 545 Euro).

Wenn die Pflege zu Hause nicht ausreicht oder nicht im erforderlichen Umfang möglich ist - etwa weil die Angehörigen berufstätig sind -, stellt die Versicherung ab Pflegegrad 2 Geld für eine teilstationäre Versorgung bereit. Es ist genauso viel wie für ambulante Pflegesachleistungen. Die Leistungen für Tages- und Nachtpflege stehen zusätzlich bereit, sie werden nicht auf Pflegegeld und Sachleistungen angerechnet.

Tabelle 3

Pflegegrad

Pflegegeld (Euro)

Pflegesachleistungen (Euro)

Tages- und Nachtpflege (teilstationäre Versorgung) (Euro)

Entlastungsbetrag (Euro)

Vollstationäre Versorgung (Euro)

1

0

0

0

125

125

2

316

689

689

125

770

3

545

1.298

1.298

125

1.262

4

728

1.612

1.612

125

1.775

5

901

1.995

1.995

125

2.005

Die Leistungen der Pflegeversicherung je nach Pflegegrad (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit).

Die Pflegesätze für die vollstationäre Versorgung unterscheiden sich nicht stark von jenen für ambulante Sachleistungen. Bei Pflegegrad 2 und 4 ist der Satz zwölf beziehungsweise zehn Prozent höher, bei Pflegegrad 3 gibt es 34 Euro weniger. Egal welcher Pflegegrad, es ist ein Zuschuss zu den Pflegekosten im Heim. Selbst bezahlen muss jeder Heimbewohner den "einrichtungseinheitlichen Eigenanteil". Nicht bezuschusst werden alle weiteren Kosten zum Beispiel für Verpflegung und Unterkunft.

Für Menschen mit Pflegegrad 1 zahlt die Versicherung allein einen Entlastungsbetrag bis zu 125 Euro. Oder in gleicher Höhe einen Zuschuss zur vollstationären Versorgung. Der Entlastungsbetrag ist zweckgebunden, er kann zum Beispiel in die ambulante Pflege oder stationäre Kurzzeitpflege fließen.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Leistungen der Versicherung, beispielsweise für Pflegehilfsmittel und Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes. Eine Übersicht finden Sie auf www.pflegestaerkungsgesetz.de unter "Finanzielle Leistungen".

Wenn Widerspruch notwendig ist

Es gibt Fälle, da fühlen sich Menschen vor den Kopf gestoßen, wenn der Bescheid der Pflegekasse eintrifft. So wirklichkeitsfern erscheint das Ergebnis. Ein Widerspruch ist naheliegend. Viel öfter aber mischen sich Zweifel und Unsicherheit, wenn kein oder nur ein niedriger Pflegegrad herauskommt. Und es stellt sich die Frage, was tun?

Die Pflegekasse folgt bei ihrer Entscheidung in der Regel dem Gutachten des medizinischen Dienstes. Das Gutachten erhalten Pflegebedürftige zusammen mit dem Bescheid. Zu hinterfragen ist: Wo sind unter Umständen zu wenig Einzelpunkte zuerkannt worden? Woran kann das gelegen haben? Was hat der Gutachter nicht berücksichtigt? Und nicht zuletzt, ob augenscheinlich fehlende Punkte bei einer Neubewertung für einen höheren Pflegegrad ausreichen würden?

Der Widerspruch steht und fällt mit der Begründung. Die sollte ins Detail gehen. Beispiele aus dem Pflegealltag sollten verdeutlichen, an welchen Stellen das Gutachten ein unvollständiges oder fehlerhaftes Bild entstehen lässt. Wenn möglich, sollte man die Beispiele mit Aufzeichnungen des Pflegedienstes, ärztlichen Schreiben oder Nachweisen über Pflegehilfsmittel belegen. Eine solche Begründung erfordert Zeit. Zeit, die man sich nehmen sollte.

Denn zunächst genügt ein formloser schriftlicher Widerspruch ohne Angabe von Gründen. Dieses Schreiben muss binnen eines Monats nach Erhalt des Bescheids bei der Pflegekasse eingehen. Darin sollte dann auch stehen, dass die Begründung nachgereicht wird.

Sehr häufig laufen Widersprüche darauf hinaus, dass der medizinische Dienst den Pflegebedürftigen ein zweites Mal begutachtet. Es kommt ein anderer Mitarbeiter. Gelangt der zu dem gleichen Ergebnis und weist die Pflegekasse den Widerspruch zurück, bleibt Betroffenen der Weg vor das Sozialgericht. Die Frist, innerhalb derer die Klage eingereicht werden muss, beträgt einen Monat.

Widerspruch - ein Beispiel aus der Praxis: Herr F. ,78, hat Krebs und Metastasen im Gehirn. Als seine Ehefrau die tägliche Versorgung zu Hause alleine nicht mehr schafft, zieht sie einen Pflegedienst hinzu. Das Erstgutachten des medizinischen Dienstes führt zu Pflegegrad 1. Die Bewertung bei vier Modulen erweckt Zweifel: Bei Modul 2 (Kognitive und kommunikative Fähigkeiten) und Modul 3 (Verhaltensweisen und psychische Problemlagen) sowie Modul 6 (Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte) vergibt der Gutachter null Punkte. Bei Modul 4 (Selbstversorgung) vergibt er zehn Punkte.

Der Gutachter hält nicht fest, dass Herr F. an beiden Händen eine Muskelkontraktur hat. Die Finger an der rechten sind so stark beeinträchtigt, dass Herr F. mit dieser Hand nicht greifen kann. Nicht erfasst ist im Gutachten außerdem, dass er sich psychisch auffällig verhält. Und dass er Risiken und Gefahren nicht mehr richtig einschätzt. So versucht er wiederholt allein das Haus zu verlassen, bei einem der Versuche - einige Tage nach der Begutachtung -, stürzt er und erleidet einen Oberschenkelhalsbruch.

Die Familie holt sich Rat beim Pflegedienst. In der Begründung des Widerspruches beschreibt sie Verhaltensauffälligkeiten von Herrn F., auch wie oft und bei welchen Gelegenheiten sie auftreten. Ferner weist sie auf kognitive Probleme hin, zum Beispiel heißt es, dass er sich "nicht oder falsch an Aussagen oder Empfehlungen von Ärzten" erinnert und "wesentliche Ereignisse" vergisst. Auch steht darin, dass den behandelnden Ärzten und dem Pflegedienst die Auffälligkeiten und Probleme bekannt und diese teils dokumentiert seien.

Die zweite Begutachtung, zwei Monate nach der ersten, ergibt 7,5 Punkte bei Modul 2 und Modul 3, 7,5 Punkte bei Modul 6, 20 Punkte bei Modul 4 – insgesamt 25 Punkte mehr als zuvor.

Experteninterview: Beratung tut not

Welche Erfahrungen machen Angehörige pflegebedürftiger Menschen mit dem neuen Begutachtungsverfahren? Dieser Frage sind Verbraucherzentralen (VZ) in einer Studie nachgegangen. Daniela Hubloher ist Expertin für Patientenrechte und Gesundheitsdienstleistungen bei der VZ Hessen.

Wie kommen Verbraucher mit dem Prozedere der Pflegeversicherungen zurecht?

Daniela Hubloher: Es ist für sie nach wie vor mühsam. Pflegende Angehörige erleben die Antragstellung und die Phase, bis der Pflegegrad festgestellt ist, als sehr belastend. Die Mehrzahl ist bereits mit den Antragsformularen der Pflegekassen überfordert. Und auch das hat unsere Forsa-Studie ergeben: Viele Betroffene wissen nicht, wo sie sich Hilfe holen sollen. Ganz offensichtlich erreichen die bestehenden Beratungsangebote die Öffentlichkeit zu wenig.

Wer bietet sich als erste Anlaufstelle an?

Hubloher: Die Pflegekassen sind gesetzlich zur Beratung verpflichtet. Sie müssen binnen 14 Tagen, nach dem Pflegeleistungen beantragt worden sind, einen Beratungstermin vorschlagen. Alternativ können sie einen Beratungsgutschein ausgeben, mit dem man zu einem Pflegedienst oder einer anderen anerkannten Organisation gehen kann. Als erste Anlaufstelle empfehlen wir die Pflegestützpunkte, die gibt es in vielen Orten. Dort sind Mitarbeiter von Pflegekassen und Kommunen, und es laufen Informationen aus der Region zusammen, zum Beispiel über freie Betten in Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste.

Die Begutachtung durch den medizinischen Dienst dauert nicht lange. Werden wichtige Details oft übersehen?

Hubloher: Von den pflegenden Angehörigen, die in unserer Studie befragt wurden, äußerten sich die allermeisten zufrieden über den Ablauf der Begutachtung. Gutachter wurden als Partner erlebt – nicht als Gegner. Das kann natürlich von Fall zu Fall immer wieder mal anders sein. In letzter Zeit haben wir wenig Anfragen von Verbrauchern, die Bescheide von Pflegekassen anfechten wollen. Vor der Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade waren es deutlich mehr.

Wo im Gutachten kommt es am ehesten zu Fehleinschätzungen?

Hubloher: Problematisch sein können die Fragen, bei denen es um die Beurteilung der Selbstständigkeit geht. Etwa die Frage, wie es mit Essen und Trinken klappt. Schafft der Pflegebedürftige das teilweise selbstständig? Oder ist er dabei teilweise unselbstständig? Das kann man manchmal so oder so interpretieren. Aus Scham spielen viele Menschen gerade bei solchen Fragen ihren Pflegebedarf herunter. Es ist sehr wichtig, dass ein Angehöriger oder Mitarbeiter des Pflegedienstes dem Gutachter dann plausibel darlegt, welche Hilfe der Betreffende tatsächlich benötigt.

Was sollte man sich im Gutachten noch genau ansehen?

Hubloher: Zunächst einmal alle sechs Module, anhand derer die Punkte vergeben werden. Ein Punkt mehr oder weniger bei dem einen oder anderen Einzelkriterium kann ausschlaggebend sein. Darüber hinaus sollte man schauen, ob der Gutachter mündliche Angaben, Krankenhausberichte und Atteste im Hinblick auf die Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen berücksichtigt hat. Wenn der Pflegebedürftige regelmäßig Verbandswechsel braucht oder zur Physiotherapie muss, sollte das notiert worden sein. Das Gutachten ist nicht einfach zu lesen, im Zweifelsfall sollte man es mit dem behandelnden Arzt oder anderen Experten durchgehen.

Wie sind die Erfolgsaussichten bei einem Widerspruch?

Hubloher: Den Pflegebereich insgesamt betrachtet, lässt sich sagen, dass Verbraucher mit Widersprüchen oft Erfolg haben. Was Pflegegrade angeht, sind das vor allem Fälle, in denen bei der Begutachtung Informationen fehlten. Informationen, die dann mit dem Widerspruch nachgereicht wurden.

Wenn die Pflegeversicherung bei ihrer Einschätzung bleibt: Lohnt sich eine Klage vor dem Sozialgericht?

Hubloher: Wir raten Verbrauchern abzuwägen: Wenn sich der Gesundheitszustand des Pflegebedürftigen seit der letzten Begutachtung verschlechtert hat, stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, einen neuen Antrag auf Pflegeleistungen zu stellen. Denn es dauert Monate, wenn nicht noch länger, bis das Verfahren vor dem Sozialgericht läuft. Währenddessen gibt es keine Leistungen von der Pflegekasse. Andererseits, geht die Klage durch, erhält man Leistungen rückwirkend. Im Fall eines neuen Antrags nicht.

Frau Hubloher, wir bedanken uns für das Gespräch.

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