Der Fear & Greed-Index: So misst man Angst und Gier
Der Fear & Greed-Index des Branchendienstes CNN Business kann dabei eine Hilfe sein. Dieser Index will die Emotionen im Markt messen, mit den gegensätzlichen Gefühlen Angst und Gier. Dahinter steht der Gedanke: Wenn die Menschen gierig sind, sind Aktien teuer; haben sie Angst, sind Aktien billig. Der Index basiert also auf der Vorstellung, dass Aktien bei übermäßiger Angst deutlich unter ihren inneren Werten gehandelt werden – umgekehrt führt ungezügelte Gier dazu, dass Aktien weit überbewertet sind. CNN Business berechnet den Index tagesaktuell mit Vergleichen zum Vortag und dem Schlusskurs vor einer Woche, einem Monat und einem Jahr.
Der Fear & Greed-Index: Tachometer aus sieben Faktoren
Für die Berechnung des Index werden die folgenden Faktoren herangezogen:
- Safe Haven Demand
- Put and Call Options
- Stock Price Breadth
- Stock Price Strength
- Market MomentumJ
- Junk Bond Demand
- Market Volatility
Wir erläutern, was die Faktoren im Einzelnen bedeuten.
1. Safe Haven Demand: Suche nach sicheren Häfen
Hier geht es um die Differenz der Renditen von Aktien und Staatsanleihen. Solche Anleihen gelten bei Anlegern als "sicheren Häfen". Wenn Aktien gegenüber den Anleihen outperformen, die Kurve also steigt, dann ist das ein Indiz, dass Anleger von Sicherheit ins Risiko wechseln. In der Grafik steht die Kurve bei großer Angst.
2. Put and Call Options: Verhältnis von Verkaufs- und Kaufoptionen
Die Call- oder Kaufoptionen stehen für die optimistischen Bullen an der Börse, die Put- oder Verkaufsoptionen für die pessimistischen Bären. Der Indikator vergleicht die Handelsvolumina der beiden. Je tiefer die Kurve steht, desto größer Optimismus und Gier. Zurzeit steht auch sie bei einer 4, also extremer Angst (Stand: 7. April 2025).
3. Stock Price Breadth: Breite der Aktienkurse
Hier geht es darum, wie das Handelsvolumen steigender im Vergleich zu fallenden Aktien an der New York Stock Exchange (NYSE) aussieht. Berechnungsgrundlage für den Indikator ist der McClellan Volume Summation Index. Je höher der Wert, desto höher die Breite, desto höher die Gier.
4. Stock Price Strength: Stärke der Aktienkurse
Dieser Indikator setzt die Aktien an der NYSE mit 52-Wochen-Hochs ins Verhältnis zu denen mit 52-Wochen-Tiefs. In der Grafik sieht man, dass die Tiefs zurzeit stark überwiegen, ganz anders als im Oktober – in dieser Ausprägung ein Zeichen extremer Angst und typisch für eine Baisse.
5. Market Momentum: relative Höhe der Kurse
Das Market Momentum vergleicht die Aktienkurse des S&P 500 mit dem gleitenden Durchschnitt der letzten 125 Handelstage. Die Kurse liegen zurzeit derart tief über dem Durchschnitt, dass sie große Angst anzeigen.
6. Junk Bond Demand: Nachfrage nach Schrottanleihen
Welche Spanne an Renditen akzeptieren Investoren zwischen Anleihen mit Investment-Grade (beste bis mittlere Bonität) und Schrottanleihen mit hohem Risiko? Je mehr zusätzliche Prozentpunkte der Markt für das Risiko verlangt, desto risikoscheuer ist er. Die Grafik zeigt zuletzt extreme Angst an.
7. Market Volatility: Schwankung am Markt
Der Indikator bezieht sich auf den VIX, der dem deutschen VDAX entspricht. Er drückt die erwartete Schwankungsbreite für den S&P 500 in den nächsten 30 Tagen aus. Eine hohe erwartete Volatilität bedeutet Angst. In Bullenmärkten erwartet der Markt weniger Schwankung. In diesem Sinne steht der Indikator derzeit auf extremer Angst.
Angst und Gier in Börsencrashs
Eine exakte Wissenschaft ist der Fear & Greed-Index aber nicht. Das sieht man am Vergleich zweier Börsencrashs. So fiel der Index am Tag nach der Pleite bei Lehman Brothers auf ein Tief von zwölf Punkten. Zwar erreichte der S&P 500 am selben Tag, dem 17. September 2008, ebenfalls ein Dreijahres-Tief – die Angst korrespondierte also tatsächlich mit dem Börsenabschwung. Allerdings ging es bei dem US-Börsenindex danach noch bis zum 1. März 2009 weiter abwärts. Der Index erholte sich erst wieder im September 2012 und kletterte auf den Stand von Anfang 2008.
Demgegenüber erreichte der Fear & Greed-Index im Corona-Crash am 12. März 2020 auf dem Tiefpunkt einen Wert von eins und zeigte damit vor dem Coronavirus eine noch größere Angst im Markt an als während der Subprime-Krise oder Welt-Finanzkrise. Der S&P 500 erreichte seinen Tiefpunkt gleich darauf am 23. März 2020. Das Tief an der Börse ließ sich also durch den Fear & Greed-Index gut identifizieren. Danach ging es jedoch an der Börse fast wieder so steil nach oben wie vorher nach unten. Mitte August 2020 erreichte der Index wieder die Höchststände von Mitte Februar 2020.
Es gibt demnach also einen Zusammenhang zwischen dem Aktienmarkt und dem Fear & Greed-Index. Man darf sich aber nicht nur auf Angst und Gier verlassen. Der Index ist lediglich eine grobe Richtungsvorgabe, hilfreich als Orientierung für ein Umkehrsignal. Als grobes Werkzeug ist er ein Indikator für Über- oder Unterbewertungen am Gesamtmarkt.
Angst und Gier als Teil normaler Marktphasen
Gier wir oft dämonisiert, so wie im bekannten "Gier ist gut"-Monolog Gordon Gekkos alias Michael Douglas in "Wall Street": "Übrigens ist Gier in Ordnung. Ich will, dass ihr das wisst. Ich denke, Gier ist gesund. Man kann gierig sein und dennoch mit sich im Reinen." Beim Fear & Greed-Index ist die Gier Teil eines Marktzyklus. Sie wechsel sich mit Angst ab und kehrt immer wieder. Beides sind Marktphasen. Zu viel Gier allerdings schadet, ebenso wie zu viel Furcht.
Vereinfacht gesagt sind Aktien bei Angst billig und bei Gier teuer. Ein gieriger Anleger verhält sich zur Börse ähnlich irrational wie ein Liebestoller zu seiner Angebeteten: Die Leidenschaft beeinflusst seinen gesunden Menschenverstand und seine Selbstbeherrschung. Aber auch die umgekehrte Panik lässt Investoren nicht vernünftiger handeln. Angst und Gier führen gleichermaßen zu irrationalem Handeln. Dies ist eine Beobachtung, die in der Verhaltensökonomie und der Behavioral Finance eine wichtige Rolle spielt: Anleger sind Menschen mit Gefühlen. Die Börse ist eine Mischung aus Mathematik und Psychologie.
Angst und Gier: Kaufen oder nicht?
Angst und Gier als Extreme liefern allerdings keine genauen Handlungsanweisungen für Anleger wie: Soll ich jetzt kaufen oder nicht? Der Fear & Greed-Index kann aber mögliche Trendwenden aufzeigen. Es gibt eine ganz grobe Faustregel, wonach man bei einem Index-Stand unter 20 Punkten ans Kaufen denken kann. Stichwort: billiger Aktienmarkt. Der Index zeigt nur die Emotionen mit Blick auf den ganzen Markt an, nicht hinsichtlich einzelner Aktien.
Zu berücksichtigen ist auch, dass Angst und Gier keine kurzfristigen Spitzen im Verlauf des Index sein müssen. Sie zeigen nicht, wann ein Trend zu Ende ist. Über- und Untertreibungen können über längere Zeit anhalten und sich seitwärts entwickeln. Der Fear & Greed-Index kann Anleger darum zu früh aus dem Markt leiten und ebenfalls zu früh wieder hinein. Und gerade bei Wetten auf die Zukunft (Optionen) gilt der Satz von John Maynard Keynes: "Der Markt kann sich länger irrational verhalten, als man selbst zahlungsfähig bleibt."
Doch was soll der Index im unteren Bereich raten? An einem Tiefpunkt verkaufen – aus großer Angst?
Langfristig gesehen folgt auf einen Tiefpunkt eine Erholung. Auch wenn der aktuelle Crash viele Anlegerinnen und Anleger verunsichert, zeigt die Börsengeschichte, dass sich die Märkte nach schweren Einbrüchen meist wieder fangen – oft schneller, als man in der Krise vermuten würde. Buy & Hold-Anleger sollten deshalb nicht panisch verkaufen, nur weil der Fear & Greed-Index extreme Angst signalisiert. Denn genau in solchen Phasen ergeben sich häufig Einstiegschancen für langfristig orientierte Anlegerinnen und Anleger. Entscheidend ist nicht, was morgen oder übermorgen passiert – sondern, wie sich Unternehmen entwickeln.
Warren Buffet formuliert es mit Blick auf das Coronavirus so: "Das Coronavirus steht jetzt im Vordergrund. Etwas anderes wird es in drei Monaten, in einem Jahr und in zwei Jahren sein. Aber die eigentliche Frage ist, wo Unternehmen in fünf oder zehn Jahren stehen werden. Und insgesamt wird Amerika gut abschneiden, wie es das seit 1776 immer getan hat."