Aktienmärkte

Angst und Gier an der Börse: Was der Fear & Greed-Index Anlegern bringt

Alexander Rudow
Autor
Aktualisiert am: 28.12.2020

Auf einen Blick

  • Der Fear & Greed Index gilt an der Börse als Angst- und Euphorie-Barometer. Er spiegelt extreme Furcht und extreme Gier wider.
  • Der Index des Branchendienstes CNN Business funktioniert wie ein Tachometer. Bei Null zeigt er große Angst, bei 100 große Gier an. Derzeit steht die Tachonadel auf Gier.
  • Anleger können den Index als Hinweis dafür heranziehen, ob der Markt über- oder unterbewertet ist. Sie sollten sich aber nicht alleine auf den Indikator verlassen
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Warren Buffett muss es wissen, er gilt schließlich als lebende Börsenlegende. Und sein bekannter Ratschlag an Investoren lautet: "Sei ängstlich, wenn andere gierig sind. Sei gierig, wenn andere ängstlich sind." So weit also der Plan. In der Corona-Krise konnte man Angst und Gier an der Börse exemplarisch verfolgen. Erst regiert die Angst, dann folgte die Gier. Doch wie können Anleger sehen, wann die Angst am größten – und die Kurse womöglich am tiefsten sind? Wann sollen sie einsteigen? Wann wieder verkaufen?

Der Fear & Greed-Index: So misst man Angst und Gier

Der Fear & Greed-Index des Branchendienstes CNN Business kann dabei eine Hilfe sein. Dieser Index will die Emotionen im Markt messen, mit den gegensätzlichen Gefühlen: Angst & Gier. Dahinter steht der Gedanke: Wenn die Menschen gierig sind, sind Aktien teuer; haben sie Angst, sind Aktien billig. Der Index basiert also auf der Vorstellung, dass Aktien bei übermäßiger Angst deutlich unter ihren inneren Werten gehandelt werden – umgekehrt führt ungezügelte Gier dazu, dass Aktien weit überbewertet sind. CNN Business berechnet den Index tagesaktuell mit Vergleichen zum Vortag und dem Schlusskurs vor einer Woche, einem Monat und einem Jahr.

Der Fear & Greed-Index: Tachometer aus sieben Faktoren

Für die Berechnung des Index werden die folgenden Faktoren herangezogen:

  • Safe Haven Demand
  • Put and Call Options
  • Stock Price Breadth
  • Stock Price Strength
  • Market MomentumJ
  • Junk Bond Demand
  • Market Volatility

Wir erläutern, was die Faktoren im Einzelnen bedeuten.

1. Safe Haven Demand: Suche nach sicheren Häfen

Hier geht es um die Differenz der Renditen von Aktien und Staatsanleihen. Solche Anleihen gelten bei Anlegern als „sicheren Häfen“. Wenn Aktien gegenüber den Anleihen outperformen, die Kurve also steigt, dann ist das ein Indiz, dass Anleger von Sicherheit ins Risiko wechseln. In der Grafik steht die Kurve bei großer Gier.

2. Put and Call Options: Verhältnis von Verkaufs- und Kaufoptionen

Die Call- oder Kaufoptionen stehen für die optimistischen Bullen an der Börse, die Put- oder Verkaufsoptionen für die pessimistischen Bären. Der Indikator vergleicht die Handelsvolumina der beiden. Je tiefer die Kurve steht, desto größer Optimismus und Gier. Zurzeit steht auch sie bei großer Gier.

3. Stock Price Breadth: Breite der Aktienkurse

Hier geht es darum, wie das Handelsvolumen steigender im Vergleich zu fallenden Aktien an der New York Stock Exchange (NYSE) aussieht. Berechnungsgrundlage für den Indikator ist der McClellan Volume Summation Index. Je höher der Wert, desto höher die Breite, desto höher die Gier.

4. Stock Price Strength: Stärke der Aktienkurse

Dieser Indikator setzt die Aktien an der NYSE mit 52-Wochen-Hochs ins Verhältnis zu denen mit 52-Wochen-Tiefs. In der Grafik sieht man, dass die Hochs zurzeit die Tiefs stark überwiegen, ganz anders als im März – in dieser Ausprägung ein Zeichen extremer Gier und typisch für eine Hausse.

5. Market Momentum: relative Höhe der Kurse

Das Market Momentum vergleicht die Aktienkurse des S&P 500 mit dem gleitenden Durchschnitt der letzten 125 Handelstage. Die Kurse liegen zurzeit derart hoch über dem Durchschnitt, dass sie große Gier anzeigen.

6. Junk Bond Demand: Nachfrage nach Schrottanleihen

Welche Spanne an Renditen akzeptieren Investoren zwischen Anleihen mit Investment-Grade (beste bis mittlere Bonität) und Schrottanleihen mit hohem Risiko? Je mehr zusätzliche Prozentpunkte der Markt für das Risiko verlangt, desto risikoscheuer ist er. Die Grafik zeigt zuletzt (einfache) Gier an.

7. Market Volatility: Schwankung am Markt

Der Indikator bezieht sich auf den VIX, der dem deutschen VDAX entspricht. Er drückt die erwartete Schwankungsbreite für den S&P 500 in den nächsten 30 Tagen aus. Eine hohe erwartete Volatilität bedeutet Angst. In Bullenmärkten erwartet der Markt weniger Schwankung. In diesem Sinne steht der Indikator derzeit auf neutral.

Angst und Gier begleiten Hausse und Baisse

Stellt man die Entwicklung des Fear & Greed-Index in den letzten drei Jahren den Verlauf des US-Aktienindex S&P 500 gegenüber zeigt sich: die Tiefpunkte der beiden Kurven Anfang 2018, zum Jahreswechsel 2018/19 und im März 2020 gleichen sich. Allerdings liegen die Tiefpunkte bei der Fear & Greed-Kurve für alle drei Zeitpunkte auf demselben Niveau – nämlich ganz unten im Angstbereich. Bei der „wirklichen“ Börsenkurve dagegen bewegen sich die Tiefs auf unterschiedlichen Niveaus. Dennoch macht der Vergleich deutlich: die Emotionen Angst und Gier begleiten an der Börse die Hausse wie die Baisse.

Zeitverlauf des Fear & Greed-Index

Der Zeitverlauf des Feer & Greed-Index zeigt: Die Tiefpunkte des Index sind identisch mit denen der normalen Börsenkurve. Quelle: CNN Business 

Angst und Gier in Börsencrashs

Eine exakte Wissenschaft ist der Fear & Greed-Index aber nicht. Das sieht man am Vergleich zweier Börsencrashs. So fiel der Index am Tag nach der Pleite bei Lehman Brothers auf ein Tief von zwölf Punkten. Zwar erreichte der S&P 500 am selben Tag, dem 17. September 2008, ebenfalls ein Dreijahres-Tief – die Angst korrespondierte also tatsächlich mit dem Börsenabschwung. Allerdings ging es bei dem US-Börsenindex danach noch bis zum 1. März 2009 weiter abwärts. Der Index erholte sich erst wieder im September 2012 und kletterte auf den Stand von Anfang 2008.

Demgegenüber erreichte der Fear & Greed-Index im Corona-Crash am 12. März 2020 auf dem Tiefpunkt einen Wert von eins und zeigte damit vor dem Coronavirus eine noch größere Angst im Markt an als während der Subprime-Krise oder Welt-Finanzkrise. Der S&P 500 erreichte seinen Tiefpunkt gleich darauf am 23. März 2020. Das Tief an der Börse ließ sich also durch den Fear & Greed-Index gut identifizieren. Danach ging es jedoch an der Börse fast wieder so steil nach oben wie vorher nach unten. Mitte August 2020 erreichte der Index wieder die Höchststände von Mitte Februar 2020.

Es gibt demnach also einen Zusammenhang zwischen dem Aktienmarkt und dem Fear & Greed-Index. Man darf sich aber nicht nur auf Angst und Gier verlassen. Der Index ist lediglich eine grobe Richtungsvorgabe, hilfreich als Orientierung für ein Umkehrsignal. Als grobes Werkzeug ist er ein Indikator für Über- oder Unterbewertungen am Gesamtmarkt.

Angst und Gier als Teil normaler Marktphasen

Gier wir oft dämonisiert, so wie im bekannten „Gier ist gut“-Monolog Gordon Gekkos alias Michael Douglas in „Wall Street“: „Übrigens ist Gier in Ordnung. Ich will, dass ihr das wisst. Ich denke, Gier ist gesund. Man kann gierig sein und dennoch mit sich im Reinen.“ Beim Fear & Greed-Index ist die Gier Teil eines Marktzyklus. Sie wechsel sich mit Angst ab und kehrt immer wieder. Beides sind Marktphasen. Zu viel Gier allerdings schadet, ebenso wie zu viel Furcht.

Vereinfacht gesagt sind Aktien bei Angst Aktien billig und bei Gier teuer. Ein gieriger Anleger verhält sich zur Börse ähnlich irrational wie ein Liebestoller zu seiner Angebeteten: Die Leidenschaft beeinflusst seinen gesunden Menschenverstand und seine Selbstbeherrschung. Aber auch die umgekehrte Panik lässt Investoren nicht vernünftiger handeln. Angst und Gier führen gleichermaßen zu irrationalem Handeln. Dies ist eine Beobachtung, die in der Verhaltensökonomie und der Behavioral Finance eine wichtige Rolle spielt: Anleger sind Menschen mit Gefühlen. Börse ist ein Mischung aus Mathematik und Psychologie.

Angst und Gier: Kaufen oder nicht?

Angst und Gier als Extreme liefern allerdings keine genauen Handlungsanweisungen für Anleger wie: Soll ich jetzt kaufen oder nicht? Der Fear & Greed-Index kann aber mögliche Trendwenden aufzeigen. Es gibt eine ganz grobe Faustregel, wonach man bei einem Index-Stand unter 20 Punkten ans Kaufen denken kann. Stichwort: billiger Aktienmarkt. Der Index zeigt nur die Emotionen mit Blick auf den ganzen Markt an, nicht hinsichtlich einzelner Aktien.

Zu berücksichtigen ist auch, dass Angst und Gier keine kurzfristigen Spitzen im Verlauf des Index sein müssen. Sie zeigen nicht, wann ein Trend zu Ende ist. Über- und Untertreibungen können über längere Zeit anhalten und sich seitwärts entwickeln. Der Fear & Greed-Index kann Anleger darum zu früh aus dem Markt leiten und ebenfalls zu früh wieder hinein. Und gerade bei Wetten auf die Zukunft (Optionen) gilt der Satz von John Maynard Keynes: „Der Markt kann sich länger irrational verhalten, als man selbst zahlungsfähig bleibt.“

Doch was soll der Index im oberen Bereich raten? An einem Höhepunkt verkaufen – wegen der großen Gier? Langfristig gesehen folgt an der Börse auf ein Hoch eine neues Hoch. Buy & Hold-Anleger sollten daher ihre Aktien nie verkaufen, nur weil der Index starke Gier anzeigt. Zumal Gier lange anhalten kann. Und für Investitions-Entscheidungen sind auf lange Sicht ohnehin ganz andere Erwägungen wichtig. Warren Buffet formuliert es mit Blick auf das Coronavirus so: „Das Coronavirus steht jetzt im Vordergrund. Etwas anderes wird es in drei Monaten, in einem Jahr und in zwei Jahren sein. Aber die eigentliche Frage ist, wo Unternehmen in fünf oder zehn Jahren stehen werden. Und insgesamt wird Amerika gut abschneiden, wie es das seit 1776 immer getan hat.“

Geboren 1972 in Münster/Westfalen. Bereits während seines Jura-Studiums und anschließenden Referendariats schrieb Alexander als freier Journalist für verschiedene regionale Tageszeitungen. Nach Absolvierung des zweiten Staatsexamens arbeitete er einige Zeit als Anwalt in eigener Kanzlei. Darüber hinaus war er in einer Warschauer Kanzlei tätig, wo er sich intensiv mit den deutsch-polnischen Handelsbeziehungen beschäftigte. Ebenfalls in Warschau unterrichtete er Deutsch als Fremdsprache am Österreich-Institut. 2010 entdeckte Alexander seine Leidenschaft für die Börse. Er ist glühender Verfechter der Buy-and-Hold-Strategie. Sein Depot umfasst ausgewählte Einzeltitel und ein ETF-Weltportfolio. Für biallo.de schreibt Alexander Börsen- und Aktien-Ratgeber. Dazu ist er als Lektor und freier Autor von Sachbüchern und in der Belletristik tätig.

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