Wer derzeit gelegentlich einen Blick auf den Deutschen Aktienindex Dax wirft, der kann in dessen Verlauf buchstäblich die Spannung spüren, die an der Börse herrscht. Egal ob man die Tages- oder Wochenkurve betrachtet: Es ist ein zittriges Auf und Ab – ein Zeichen für die Unsicherheit am Markt.
Kein Börsianer weiß, wo es im nächsten Moment hingehen wird. In der Corona-Krise scheint alles möglich: ein steiler Absturz ebenso wie ein rascher Anstieg – oder eben nur eine andauernde, schwankende Seitwärtsbewegung, wovon zum Beispiel Börsenguru Hans A. Bernecker im Interview mit biallo.de ausgeht.
Mit dieser Unsicherheit leben müssen diejenigen, die täglich das Geld Ihrer Kunden an den Finanzmärkten anlegen: die Fondsmanager und Anlagestrategen der Fondsgesellschaften. Wie schätzen sie die Lage an den Märkten ein? Welche Strategien empfehlen sie? Biallo.de hat bei einigen Fondsmanagern und Kapitalmarktstrategen nachgefragt.
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Wie die Profis die wirtschaftliche Lage einschätzen
Das oberste Gebot ist bei allen Experten: Vorsicht. Für eine Entwarnung sei es noch zu früh, meint etwa Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie bei der Fondsgesellschaft Blackrock. Lück macht vor allem der "vermutlich haarsträubende ökonomische Schaden in den USA" Sorgen. Das Risiko, dass die Epidemie sich noch weiter ausbreite und sich damit auch die wirtschaftlichen Folgen weiter verschlechterten, sei weiterhin hoch.
Wie lange und wie stark die Wirtschaft schrumpfen wird, hänge vor allem davon ab, wie schnell die Ansteckungsfälle ihren Höhepunkt erreichen, meint auch Tilmann Galler. Der Kapitalmarktstratege bei der US-Fondsgesellschaft JP Morgan rechnet in jedem Fall damit, dass "das globale Wachstum im ersten und zweiten Quartal hart getroffen" wird.
Zwar hätten die Staaten mittlerweile riesige Hilfspakete geschnürt. Auf der anderen Seite lösten jedoch die Einschränkungen der sozialen Kontakte gleich drei Schocks auf einmal in der Wirtschaft aus: "einen Angebotsschock, einen Nachfrageschock und einen Liquiditätsschock – das macht die Krise so einzigartig und gefährlich."
Mit einer raschen Erholung rechnet daher keiner der Experten. Am realistischsten sei derzeit ein L-förmiger Verlauf der Entwicklung, meint Fondsmanager Alex Tedder von der Fondsgesellschaft Schroders – also ein starker Rückgang der ökonomischen Aktivität und danach eine langsame Erholung. Erst wenn die Infektionsraten wieder zurückgingen, ließe sich die weitere wirtschaftlichen Entwicklung verlässlicher vorhersagen: "Vorsicht bleibt daher bei unseren Entscheidungen der zentrale Aspekt", sagt Tedder.
Hohes Risiko für weitere Rückschläge
Das Risiko, dass es an den Börsen noch weiter nach unten geht, ist nach Ansicht der Anlageprofis noch immer vergleichsweise hoch. Zwar ist der Dax seit dem Beginn der Corona-Krise bereits um 30 Prozent gefallen. Noch sei jedoch "ein Boden nicht in Sicht", sagt etwa Carsten Roemheld, Kapitalmarktexperte bei der Fondsgesellschaft Fidelity International.
Zwar deute das Verhältnis zwischen Aktienkursen und Gewinnen der Unternehmen laut Roemheld darauf hin, dass vieles in den Kursen schon eingepreist sei. Das Beispiel der Finanzkrise 2009, mit der die jetzige Krise oft verglichen wird, zeige aber, dass es durchaus noch Luft nach unten gebe. Damals seien die Unternehmensgewinne um mehr als 50 Prozent zurückgegangen. Das ist auch diesmal wahrscheinlich: "Weitere Rückschläge an den Aktienmärkten sind also möglich", sagt Roemheld.
Wie stark die Unternehmensgewinne sinken werden, ist im Moment jedoch noch unklar – und damit auch, ob die Aktienkurse bereits den Boden erreicht haben. Die Auswirkungen auf die Erträge der Firmen dürften jedoch "erheblich sein", glaubt JP Morgan-Experte Galler. Dabei komme es auch auf den weiteren Verlauf der Corona-Epidemie an. Sollten etwa nach einer erwarteten Lockerung der Ausgangsbeschränkungen die Infektionszahlen wieder ansteigen, "dürften angesichts der Unsicherheit die Aktienmärkte weitere zehn bis 20 Prozent nachgeben", sagt Martin Lück.
Was die Experten jetzt raten
Im Moment ist deshalb nach Auffassung der Anlageprofis am Aktienmarkt noch Zurückhaltung angesagt. Es sei erst dann an der Zeit "Risikopositionen aufzustocken, wenn wir dem Gipfel der Infektionen nahekommen", meint Blackrock-Stratege Lück. Er rechnet damit, dass es irgendwann zu einer starken Erholung mit deutlich steigenden Kursen kommen wird. Jetzt aus dem Aktienmarkt auszusteigen, mache keinen Sinn mehr. Anleger sollten stattdessen "vernünftig umschichten".
So sollten sie neben Aktien auch Zinsanlagen, wie etwa Anleihen, besitzen. Ein Teil des Portfolios sollte aus Cash bestehen, meint Lück: "Damit man trockenes Pulver hat, wenn die Märkte wieder nach oben gehen. Das kann sehr schnell gehen." Um das Geld schnell zur Verfügung zu haben, sind Tagesgeldkonten ein gutes Mittel. Deren Anbieter zahlen in der Krise sogar wieder höhere Zinsen.
Tilmann Galler von JP Morgan gibt zu bedenken, dass sich die Aktienmärkte in der Vergangenheit oft trotz zweistelliger Marktrückgänge mittelfristig wieder kräftig erholten. Die jetzige Krise zeige, "wie wichtig eine breite Streuung von Anlagen ist". So hätten etwa Staatsanleihen auch in der Corona-Krise bewiesen, dass sie einem Depot Stabilität verleihen können. Galler hält deshalb eine "breite globale Positionierung und eine ausgewogene Risikostruktur im Portfolio" für hilfreich.
Carsten Roemheld von Fidelitiy rät Anlegern, jetzt nach jenen Märkten Ausschau zu halten, die sich "in einer Welt nach Corona behaupten werden." Seine Fondsgesellschaft fasst dabei unter anderem einen Schwerpunkt in den Blick: die Technologiebranche.
Welche Anlagen auf der Watchlist stehen
Roemheld geht davon aus, dass "weder Verbraucher noch Unternehmen unterm Strich ihre Ausgaben für Technologie aufgrund der Pandemie reduzieren werden". Überdies seien die Fundamentaldaten der Technologiefirmen gut. Einige "solide aufgestellte und finanziell starke Unternehmen" dürften daher nach der Rezession "wieder zur alten Stärke zurückfinden", meint der Kapitalmarktexperte: "Auf längerfristige Sicht sollte sich ein Engagement in den nächsten Wochen bezahlt machen."
Für Roemheld sind es vor allem die Unternehmen mit den finanzstärksten Geschäftsmodellen und den solidesten Bilanzen, die die Schwächephase am besten meistern werden. Er empfiehlt Anlegern daher Fonds, "die sich auf solche Qualitätstitel fokussieren". Dies könnten etwa Dividendenfonds sein, bei denen die Unternehmen die Dividendenzahlungen auch in der Krise aufrecht erhalten.
So zeigt etwa die aktuelle Dividendenstudie der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, dass derzeit vor allem Versicherer sowie Firmen aus dem Technologie- und Gesundheitssektor ihre angekündigten Dividenden auch ausschütten.
Blackrock-Stratege Martin Lück hält dagegen vor allem diejenigen Firmen für vielversprechend, die in der jetzigen Krise deutlich Federn gelassen haben. Für Lück haben die Aktien von Fluggesellschaften und Automobilfirmen "enormes Erholungspotenzial".
Bei den Fonds setzt er auf Mischfonds, die in verschiedene Anlageklassen investieren und so das Risiko streuen. Sie sollten dabei auch in ETFs anlegen, um die Märkte breit abzubilden – und "über ein professionelles Risikomanagement verfügen", rät der Experte.