Das heißt, hier wird letztlich der BGH für endgültige Klarheit sorgen müssen?
Steiner: Ja, Klarheit ist nur durch den BGH zu schaffen, es sei denn, es komme zu einer klaren und eindeutigen gesetzlichen Regelung, an die dann auch der BGH gebunden wäre. Dieses Gesetz könnte aber wiederum durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe außer Kraft gesetzt werden, wenn es sich als verfassungswidrig erweisen würde.
Ihr Kollege und Bankenexperte Hans-Peter Burghof warnt vor einer Destabilisierung der Geldhäuser, falls Banken und Sparkassen flächendeckend das Verwahrentgelt zurückzahlen müssten. Ist diese Sorge berechtigt?
Steiner: Die Kreditinstitute verwenden zwar, wie später noch darzulegen sein wird, die ihren Einlegerkunden auferlegten Negativzinsen zur Subvention ihres bilanziellen Zinsüberschusses. Das geschieht jedoch nicht in einem Ausmaß, dass der Wegfall dieser Negativzinsen oder die Rückzahlung bereits kassierter Beträge übergreifend die Institute destabilisieren würde. Wenn auch die Zinsmargen im Kreditgeschäft in den vergangenen Jahren tendenziell eher rückläufig geworden sind, sind keine Anzeichen zu sehen, die auf existenzgefährdende Rentabilitätsprobleme hinweisen würden. Auch die allgemeine Reservepolitik der Institute spricht gegen die angedeutete Gefahr.
In den vergangenen Monaten erhalten wir zunehmend Leserzuschriften, dass Banken mit der Kündigung drohen und diese auch in die Tat umsetzen, wenn der Kunde sich weigert, solch eine Vereinbarung zur Einführung eines Verwahrentgelts zu unterschreiben. Ist das mit dem Gesetz so überhaupt vereinbar?
Steiner: Seit 1995 gibt es ein von den Bankenverbänden bestätigtes „Grundrecht“ der Bürger auf Unterhaltung eines Guthaben-Kontos. Das hindert ein Kreditinstitut nicht, bei einem gravierenden Fehlverhalten des Kunden dieses Konto und die gesamte Bankverbindung mit ihm zu kündigen. Ich gehe aber davon aus, dass die Weigerung eines Kunden, Negativzinsen bei Überschreiten einer spezifischen Freigrenze seines Guthabens zu akzeptieren, eine solche Kündigung nicht rechtfertigen würde. Ich halte indessen die Forderung der Bank für durchsetzbar, bei Ablehnung des Verlangens von Negativzinsen das Guthaben nicht über die jeweilige Freigrenze hinaus zu erhöhen. Soweit ich überblicken kann, gibt es zu dieser Frage aber noch keine gerichtlichen Entscheidungen, auf die ich mich berufen könnte.
Falls ein Kunde es darauf anlegt und sich weigert, sein Geld abzuheben oder einfach keine neue Kontoverbindung angibt: Was passiert dann mit dem Geld bei einer Kündigung seitens der Bank?
Steiner: Wenn man von meiner Antwort auf die vorangegangene Frage ausgeht, wird eine „Kündigung“ der Bank wegen Ablehnung von Negativzinsen abzuwenden sein, wenn der Kunde sich verpflichtet, dass sein Guthaben die Freigrenze nicht überschreiten wird. Die Bank wird den Kontoinhaber dann formell auffordern, den Mehrbetrag von dem Konto abzuheben, und ihn damit in „Annahmeverzug“ setzen (§ 293 BGB). Den Betrag kann die Bank, wenn der Kunde nicht über ihn verfügt, beim dafür zuständigen Amtsgericht für ihn hinterlegen (§ 372 BGB).
Die Geldhäuser begründen die Einführung des Verwahrentgelts meist damit, dass sie selbst Strafzinsen für Einlagen bei der EZB zahlen müssen. Ist das Argument schlüssig?
Steiner: Es ist zutreffend, dass die Banken derzeit für ihre eigenen Einlagen auf Konten bei den Zentralbanken 0,5 Prozent Negativzinsen zu entrichten haben. Es ist aber ebenso zutreffend, dass die Banken in Höhe ihrer jeweiligen Mindestreservepflicht – nämlich ein Prozent ihrer Kundeneinlagen – plus dem Sechsfachen dieses Betrages von Negativzinsen befreit sind. Das bedeutet: Für die Banken fallen Negativzinsen nur an, wenn und soweit ihre eigenen Einlagen bei der Zentralbank sieben Prozent der bei ihnen unterhaltenen Kundeneinlagen übersteigen.
Da die Banken herkömmlich aber ihre Kundeneinlagen in ihrem eigenen zinstragenden Kreditgeschäft einsetzen, unterhalten sie bei der Zentralbank neben der gesetzlichen Mindestreserve jeweils nur die Beträge, die sie zur Sicherung ihrer dauernden Liquidität und als angemessenen Risikopuffer für erforderlich halten. Wenn man im groben Durchschnitt aber realitätsnah unterstellt, dass die Banken etwa zehn Prozent ihrer Kundeneinlagen bei der Zentralbank „parken“, ergibt sich daraus, dass den Banken nach Abzug der genannten sieben Prozent nur Negativzinsen auf die verbleibenden drei Prozent ihrer Kundeneinlagen anfallen.
Das bedeutet dann, dass eine Bank, die zehn Milliarden Euro Kundeneinlagen hat und davon eine Milliarde Euro bei der Zentralbank „parkt“, für 700 Millionen Euro keine und nur für die restlichen 300 Millionen Euro 0,5 Prozent Negativzinsen zu zahlen hat, also insgesamt 1,5 Millionen Euro. Wenn man diesen Eigenaufwand der Bank zum Beispiel nur auf die Hälfte ihrer Kundeneinlagen umlegen würde – wegen der von der Bank gewährten Freigrenzen –, ergäbe sich eine Negativzins-Belastung dieser Kundeneinlagen von nur 0,03 Prozent, also mit einer tragbaren „Gebühr“ von 30 Euro pro 100.000 Euro Einlage. Wenn die Banken aber auf diese Hälfte ihrer Kundeneinlagen 0,5 Prozent Negativzinsen erheben, nehmen sie damit das etwa Siebzehnfache ihres Eigenaufwands an Negativzinsen ein und können mithin das Sechzehnfache ihrer eigenen Zinsüberschussrechnung zuführen. Das ist zwar nicht verboten, wirft aber gleichwohl die Frage der Angemessenheit auf.
Warum parken die Banken überhaupt ihre überschüssige Liquidität bei der EZB? Sie könnten ja auch mehr Kredite ausreichen oder die Liquidität zum Beispiel auch am Geldmarkt anlegen.
Steiner: Die Kreditnachfrage ist im Gegensatz zum steigenden Angebot an Kundeneinlagen, auch von der Corona-Pandemie beeinflusst, derzeit eher rückläufig und strukturell risikoreicher, sodass die Banken tendenziell gezwungen sind, Kundeneinlagen vermehrt auf dem Geldmarkt unterzubringen. Dieser ist aber auch weitestgehend zinslos und überdies – jedenfalls theoretisch – weniger „sicher“ als die „absolut“ sichere Einlage bei der Zentralbank, die für die einlegende Bank auch jederzeit verfügbar ist.
Den betroffenen Kundinnen und Kunden werden seitens der Bank oft teure hauseigene Fonds oder private Rentenversicherungen als Alternative angeboten, bei denen sie selbst ordentlich Provisionen erzielt. Da drängt sich der Verdacht auf, dass die Geldhäuser unter dem „Deckmantel Negativzinsen“ Produkte verkaufen, mit denen sie gute Geschäfte machen. Ist da was dran?
Steiner: Solche Angebote sind geradezu typisch in den Kundengesprächen über die Vermeidung von Negativzinsen. In der Regel bieten die Institute die Anlage der negativzinspflichtigen Geldguthaben in Wertpapieren, vorzugsweise in der Bankengruppe nahestehenden Aktien- oder Immobilienfonds an. Es ist richtig, dass die Institute dafür übliche Provisionen beziehen, die die Anschaffung verteuern. Dagegen ist aber auch der Hinweis angebracht, dass diese Fonds im Gegensatz zum Geldkonto Erträge abwerfen und dass sie in der Regel auch weitgehend risikoarm sind. Der Unterstellung, dass solche Angebote nicht seriös oder sonst wie unangemessen seien, stimme ich nicht zu. Es liegt ja auch im Interesse der diese Anlagen vermittelnden Banken, dass die davon betroffenen wohlhabenden Kunden nicht enttäuscht werden, sondern ihre Banken eher dafür loben!