Wer ist George Soros?
Wikipedia antwortet: ein US-amerikanischer Philanthrop und Investor ungarischer Herkunft. Das ist zwar richtig, erfasst seine schillernde Persönlichkeit aber kaum. Dieser Mann polarisiert und ist umrankt von Verschwörungsmythen. Er weckt Emotionen. Wer also ist „der Mann, der die Bank of England besiegte“?
Ein Blick in Soros’ Portfolio
Blicken wir zuerst in sein Depot. Soros ist Spekulant. Ein sehr aktiver Portfolio-Manager. Diversifikation, Value und langfristiger Horizont gehören nicht zu den Regeln, nach denen er spielt. Vielmehr nutzt er Schulden und wettet mit vollem Risiko. Natürlich prüft er seine Investitionen vorher sorgfältig (Due Diligence) und analysiert Stärken und Schwächen des Objekts. Kurz gesagt: Soros’ Art des Investierens ist nichts für Leute mit schwachem Magen. Er kauft und verkauft schnell. Dadurch ändert sich sein Portfolio ständig. Hier geht es um sein letztes 13F-Formular, mit dem jeder US-Investor mit mehr als 100 Millionen Dollar seine Investments offenlegen muss – vom 16. Februar 2021, betreffend das 4. Quartal 2020.
Die Sektoren des Hedgefonds „Soros Fund Management“
Zuerst zum Allgemeinen: Der Hedgefonds „Soros Fund Management“ ist gut 5 Milliarden US-Dollar schwer und erzielte von März – Dezember 2020 eine Performance von über 168 Prozent. Dabei setzte Soros zuletzt auf diese Sektoren:
- Financials – 32,0 Prozent
- Consumer Discretionary (Nicht-Basiskonsumgüter) – 17,1 Prozent
- Information Technology – 14,0 Prozent
- Communication Services – 6,9% Prozent
- Healthcare – 2,7 Prozent
- Real Estate (Immobilien) – 2,0 Prozent
- Industrials – 1,8 Prozent
- Consumer Staples (Basis-Konsumgüter) – 1,8 Prozent
- Materials – 1,0 Prozent
- Energy – 0,9 Prozent
- Utilities (Versorger) – 0,4 Prozent
70 Prozent sind also investiert in die Branchen Finanzen, Nicht-Basiskonsum, Informationstechnik und Kommunikation. Die Aufstellung enthält einen Posten nicht, der immerhin 19,5 Prozent ausmacht und nicht eindeutig zuzuordnen ist. Knapp ein Drittel investiert Soros in seinen größten Sektor: die Finanzen.
Die einzelnen Unternehmen im „Soros Fund“
Das Portfolio enthält 101 Unternehmen. Davon hatten die Top 10 einen Anteil im Depot von knapp zwei Dritteln (63,1 Prozent). Dies sind:
- Liberty Broadband Corp - 18 Prozent
- Palantir Technologies Inc. - 9,4 Prozent
- Invesco QQQ Trust, Series 1 - 7,6 Prozent
- QuantumScape Corporation - 6,0 Prozent
- D.R. Horton, Inc. - 5,5 Prozent
- iShares, Inc. - iShares MSCI Emerging Markets ETF - 5,0 Prozent
- iShares Trust - iShares iBoxx Investment Grade Corporate Bond ETF - 4,7 Prozent
- Activision Blizzard, Inc. - 2,6 Prozent
- SelectQuote, Inc. - 2,5 Prozent
- The Hain Celestial Group, Inc. 1,8 Prozent
Auszug aus dem Portfolio (Quelle: https://finbox.com/ideas/george-soros)
Was sieht man?
- Liberty Broadband ist mit Abstand die größte Position, mit 18 Prozent. Das Unternehmen beteiligt sich an Kommunikationsunternehmen, darunter dem größten Anbieter in Alaska.
- Palantir macht auch noch knapp 10 Prozent aus, also der Bereich Software und Big Data.
- Der QQQ Trust ist ein ETF auf den NASDAQ-100 vom Anbieter Invesco und macht 7,6 Prozent aus.
- QuantumScape arbeitet in der Batterieforschung und entwickelt Batterien für Elektroautos (6 Prozent).
- D. R. Horton ist der größte Wohnungsbauer der USA (5,5 Prozent).
- Der iShares MSCI Emerging Markets ETF setzt auf die Performance in den Schwellenländern (5 Prozent).
- Der iShares iBoxx Investment Grade Corporate Bond ETF setzt auf US-Unternehmensanleihen guter Bonität (4,7 Prozent).
- Activision Blizzard produziert Computer- und Videospiele (2,6 Prozent).
- SelectQuote ist eine Vertriebsplattform, über die Verbraucher Versicherungen erwerben können (2,5 Prozent).
- The Hain Celestial Group stellt Nahrungsmittel und Produkte zur Körperpflege her (1,8 Prozent).
Sein Investitionsstil: Spekulant statt langfristiger Anleger
Überraschenderweise sind 3 der 10 größten Positionen ETFs, davon einer auf Unternehmensanleihen. Wie passt das zu der Behauptung, Soros sei Spekulant statt langfristiger Anleger? Nun – ETFs lassen sich auch kurzfristig einsetzen und haben nichts mit Buy & Hold zu tun. Den iShares ETF auf die Emerging Markets etwa hat Soros erst im 4. Quartal 2020 erworben und den iShares auf die US-Unternehmensanleihen zum Jahresende um gut 18 Prozent aufgestockt. Andererseits hat er Unternehmen wie den Fantasy-Sportwettenanbieter Draftkings ganz verkauft, ebenso wie die elektronische Handelsplattform E-Trade Financial. Doch wie und warum gelangt Soros zu seinem Trading? Hat er etwa keine Strategie?
Seine Strategie: Theorie der Reflexivität („Alchemie der Finanzen“)
Soros hat in London beim Philosophen Karl Popper studiert. Auf Poppers Gedanken baut Soros seine Theorie der Reflexivität der Märkte. Popper selbst schrieb bei Reflexivität vom „Ödipus-Effekt“: Die Prophezeiung beeinflusst die folgenden Ereignisse. Wenn man eine Herde Erdmännchen zum Studium beobachtet und die Tiere das merken, dann verändert man durch seine Beobachtung das Verhalten der Erdmännchen. Als Karl Marx mit dem „Kapital“ Geschichte und Gesellschaft analysierte, dann veränderte er damit den späteren Lauf von Geschichte und Gesellschaft. Um diese Wechselwirkung oder Rückkopplung geht es.
Popper beschreibt seinen Kritischen Rationalismus als Einstellung, „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden.“ Das ist ein Trial-and-Error-Verfahren. Ständige Falsifikation. Soros formuliert daraus seine Theorie der Reflexivität für die Kapitalmärkte, in seinem Buch „Alchemie der Finanzen“. Die Theorie sei die Grundlage seiner Börsenerfolge.
„Finanzmärkte streben kein Gleichgewicht an“
Besser anlegen mit Popper also? Ja – laut Soros selbst hat er mit dem Ansatz viel mehr Erfolg gehabt als mit den Gleichgewichtsmodellen wie der Annahme effizienter Märkte. Die Effizienzmarkthypothese geht davon aus, dass Märkte stets zu ihrem Gleichgewicht tendieren: Dabei spiegeln die Börsenkurse die verfügbaren Informationen wider und sind im Gleichgewicht mit den Unternehmen (bei Aktienmärkten). Der Marktteilnehmer handelt rational (homo oeconomicus). Der Verlauf der Kurse ist im Voraus gesehen zufällig (Random Walk). Daher können Anleger den Markt nicht systematisch und langfristig schlagen. Ein wichtiger Name im Zusammenhang mit der Effizienzmarkt-Hypothese ist der des US-Ökonomen und Nobelpreis-Trägers Eugene Fama.
Laut Soros streben Kapitalmärkte allerdings zum Ungleichgewicht. Dies Ungleichgewicht sei die Regel. Stabil sei nur die immerwährende Tendenz und Über- oder Untertreibung. Denn menschliche Fehleinschätzungen hätten Rückwirkungen auf die Wirklichkeit. Damit könnten „falsche“ Preise zu „richtigen“ werden. Ein Beispiel sind Blasen am Aktienmarkt: vor dem Schwarzen Montag 1987, der Dotcom-Blase 2000 oder der Subprime-Krise ab 2007. Jedes Mal war ein sich selbst verstärkender Effekt des Sentiments am Werk, der zu massiver Überbewertung führte: Steigende Preise zogen Käufer an, die die Preise noch höher trieben – bis zum Platzen der Blase. Derselbe Prozess kann auch umgekehrt ablaufen. Soros nutzt solche Effekte – er setzte etwa vor dem Schwarzen Montag auf Unternehmen, deren Kurs schon gefährlich hoch war – weil das Übernahmefieber weiterging. Unternehmen setzten erstmals ihre eigenen Aktien ein, um andere Unternehmen zu erwerben.
Börse ist ein Kreislauf des Ungleichgewichts
Soros’ Modell der Kapitalmärkte sagt also: Reflexivität, Wechselwirkung, Rückkopplung kann die Schwerkraft aufheben. Rationale Bewertungen zählen dann nicht. Aktienpreise können sich selbst am Schopf in die Luft ziehen. So ist es sogar regelmäßig. Zusammengefasst versteht Soros Finanzmärkte so:
- Anleger erwarten eine bestimmte Zukunft.
- Diese Erwartungen drücken sie in Theorien, Analysen und Meinungen aus.
- Diese Theorien, Analysen und Meinungen beeinflussen die Preise.
- Die beeinflussten Preise verändern wiederum die Erwartungen der Anleger.
- Die veränderten Erwartungen beeinflussen wieder die Preise.
- Auf dieser Grundlage erwarten die Anleger eine bestimmte Zukunft ...
Für Soros geht es darum, diesen Mechanismus zu verstehen und für sich zu nutzen. Er ist ein Mann, der Wellen reiten kann, ohne mit ihnen in den Abgrund zu stürzen. (Zumindest gilt das für die Mehrzahl der Wellen.) Er wendet sich gegen Deregulierung von Finanzmärkten und hält sie für ein Zeichen von Marktfundamentalismus als regelrechter Ideologie. Diese Ideologie setze voraus, dass Finanzmärkte ein Gleichgewicht anstrebten und beruhe auf einem ähnlichen Denkfehler wie der Marxismus.
Soros’ Prinzipien beim Investieren
Aus seiner Theorie über die Finanzmärkte leitet Soros Prinzipien zum Investieren ab. Er nutzt die Tendenz zum Ungleichgewicht für sich, im Sinne des Mottos „The trend is your friend“. Volatilität nehme bei sich verfestigenden Trends ab und sei erst am Wendepunkt am größten. Die Folge ist ein zyklusorientiertes Handeln. (Allerdings wettet er auch auf das Unerwartete, dazu am Ende.) Daher gilt für ihn:
- Keep it simple. Soros sagt, er entwickle seine Meinung hauptsächlich durch Zeitungslektüre. Außerdem kommuniziere er mit Quellen aus aller Welt. Auf Wirtschaftsanalysen verwende er nicht sehr viel Zeit, und er lese keine Wall-Street-Studien.
- Fange klein an. Baue eine Position in Trendrichtung stetig aus, während ein Trend anhält.
- Der Markt ist dumm. Jeder Investor arbeitet mit begrenzter Intelligenz. Versuche daher nicht, allwissend zu sein. Für einen Vorsprung reicht es, über irgendeine Sache besser Bescheid zu wissen als andere.
- Lege von von Beginn an fest, welches Risiko du eingehen willst. Das ist eine der schwierigsten Entscheidungen.
Wie groß ist sein Vermögen?
Laut dem Forbes-Magazin hat George Soros im Jahr 2021 ein Privatvermögen von 8,6 Milliarden US-Dollar. Das ist aber längst nicht der Höhepunkt seines Reichtums. Im Jahr 2008 war Soros mit einem Einkommen von 1,1 Milliarden US-Dollar der bestbezahlte Hedgefonds-Manager der Welt. (Soros Fund Management hatte 2009 ein Vermögen von 24 Milliarden Dollar.) Im Jahr 2016 war George Soros laut Forbes privat 24,9 Milliarden Dollar schwer. Dieses Vermögen hielt sich bis zum März 2018, als es auf 8 Milliarden Dollar sackte. Was war passiert?
Soros hat in seinem Leben viel gespendet. 2010 versprach er, 7 Milliarden Dollar an die Kampagne „The Giving Pledge“ von Bill Gates und Warren Buffet zu spenden. Allerdings hat Soros auch eigene Stiftungen unter dem Namen „Open Society Foundations“. (Der Name ist angelehnt an Poppers Konzept der Offenen Gesellschaft.) Ende 2018 spendete Soros 18 Milliarden Dollar (rund drei Viertel seines Vermögens) an seine Stiftungen. Die Open Society Foundations (OSF) sind die zweitgrößten nach der Bill & Melinda Gates Foundation.
Die Open Society Foundations sind 18 Milliarden US-Dollar schwer
Seit 1984 hat Soros allerdings noch viel mehr an die Stiftungen übertragen, nämlich mehr als 32 Milliarden US-Dollar seines Privatvermögens. Im Jahr 2020 stand für die Ziele der Stiftungen ein Budget von gut 1,2 Milliarden Dollar zur Verfügung, mit den größten Einzelposten:
- Demokratieförderung (140,5 Millionen US-Dollar),
- wirtschaftliche Gerechtigkeit (136,7 Millionen US-Dollar) und
- Gleichheit und Antidiskriminierung (111,5 Millionen US-Dollar).