Bereitschaftsdienst
Was versteht man darunter?
Krankenhausärzte, Polizisten, Feuerwehrleute, Rettungssanitäter, Gebäudetechniker, Beschäftigte von Energieversorgungs- oder IT-Service-Unternehmen und viele andere Arbeitnehmer kennen das: Außerhalb ihrer regelmäßigen Arbeitszeit können sie zwar ihre Zeit nutzen, um zu lesen, fernzusehen oder zu schlafen. Sie müssen sich aber an der Arbeitsstelle oder an einem Ort in der Nähe ihres Arbeitsplatzes bereithalten, um bei Bedarf innerhalb kurzer Zeit einsatzbereit zu sein und die Arbeit aufzunehmen. Das nennt sich dann Bereitschaftsdienst. Die in diesem Dienst vereinbarten Zeiten heißen Bereitschaftszeiten.
Der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) definiert diese Zeiten in Paragraf 9 Absatz 1 so: „Bereitschaftszeiten sind die Zeiten, in denen sich die/der Beschäftigte am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit selbständig, gegebenenfalls auch auf Anordnung aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen.“
Anders als bei der regulären Arbeit muss der Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit nicht permanent beachten, ob es etwas für ihn zu tun gibt oder nicht. Er muss sich aber bereithalten, wenn ein Arbeitseinsatz ansteht oder der Arbeitgeber zur Arbeit ruft.
Der Bereitschaftsdienst ist eine Sonderform der Arbeitszeit. Sie kann nur vom Arbeitgeber angeordnet werden, wenn der Arbeits- oder Tarifvertrag diese Arbeitszeitform vorsieht. Dabei müssen (betriebs-)ärztlich attestierte gesundheitliche Einschränkungen – zum Beispiel für Nachtarbeit – berücksichtigt werden. Auch kann der Bereitschaftsdienst nur dann angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dass während der Bereitschaftszeiten zwar Arbeit anfällt, jedoch die Zeit ohne tatsächlich zu erbringender Arbeitsleistung erfahrungsgemäß überwiegt. Ansonsten würden sich die Bereitschaftszeiten ja kaum von Zeiten mit regulärer Vollarbeit unterscheiden.
Sind Bereitschaftszeiten Arbeitszeiten?
Ja. Inzwischen steht fest, dass Zeiten des Bereitschaftsdienstes in vollem Umfang der Arbeitszeit zuzurechnen sind. Bis zu einer größeren Reform des Arbeitszeitgesetzes Anfang 2004 war das äußerst umstritten. Früher gingen etliche Arbeitgeber davon aus, dass nur die Zeiten mit tatsächlicher Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeiten zu werten seien – die übrige Zeit sei Ruhezeit, die nicht zu bezahlen sei.
Inzwischen ist aber klar: Auch wenn eine Pflegekraft oder eine Ärztin während eines Bereitschaftsdienstes im Krankenhaus keinen Einsatz hat und schläft, zählt dies als Arbeitszeit und muss vergütet werden. Geregelt wird dies unter anderem in Paragraf 7 Absatz 1 Nummer 1a des Arbeitszeitgesetzes. Die Bereitschaftsdienste zählen demnach auch in vollem Umfang bei der Berechnung der regulären täglichen Höchstarbeitszeit (acht Stunden – bei Zeitausgleich: zehn Stunden) und der wöchentlichen Höchstarbeitszeit (48 Stunden) mit.
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Kann die reguläre Höchstarbeitszeitgrenze durch Bereitschaftsdienste überschritten werden?
Ja. Das geht aber nur, wenn in einem Tarifvertrag oder in einer durch einen Tarifvertrag festgelegten Betriebs- oder Dienstvereinbarung so eine Überschreitung vorgesehen ist. Da Bereitschaftsdienste meist außerhalb der regulären Arbeitszeit (etwa in der Nacht oder am Wochenende) stattfinden, erlaubt das Arbeitszeitgesetz, dass in Tarifverträgen die reguläre Höchstarbeitszeit von zehn Stunden am Tag verlängert werden kann, „wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt.“
Wann in der gesamten Arbeitszeit „in erheblichem Umfang“ Bereitschaftsdienste (beziehungsweise Arbeitsbereitschaften) vorliegen, damit eine solche Arbeitszeitverlängerung erlaubt ist, ist rechtlich umstritten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem Urteil vom 6. September 2018 einen Anteil der Bereitschaftszeiten von etwa 25 Prozent an der regelmäßigen Arbeitszeit für ausreichend angesehen (Az.: 6 AZR 204/17). Teilweise wird aber auch ein Anteil von 30 Prozent gefordert.
Die Arbeitszeitverlängerung über die reguläre Höchstarbeitszeit hinaus ist auch nur dann möglich, wenn gesichert ist, dass dadurch die Gesundheit der betroffenen Arbeitnehmer nicht gefährdet wird. Durch die Vollarbeits- und Bereitschaftszeiten darf die gesamte wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden im Durchschnitt von zwölf Kalendermonaten nicht überschritten werden. Das sieht Paragraf 7 Absatz 8 des Arbeitszeitgesetzes vor. Mit den dort angegebenen zwölf Kalendermonaten ist der Ausgleichszeitraum beim Vorliegen von Bereitschaftsdiensten länger als bei der üblichen Verlängerung der täglichen Arbeitszeit. Dort umfasst der Ausgleichszeitraum nur sechs Monate.
Ausnahmsweise kann es bei regelmäßigen Bereitschaftsdiensten „in erheblichem Umfang“ auch eine „Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit“ über acht Stunden hinaus ohne Zeitausgleich geben. Das erlaubt Paragraf 7 Absatz 2a Arbeitszeitgesetz, wenn es dafür eine weitere Öffnungsklausel in einem Tarifvertrag (eine sogenannte Opt-Out-Regelung) gibt. Danach können sich Arbeitnehmer nach einer ausdrücklichen Einwilligung, die schriftlich vorliegen muss, im Prinzip zu einer unbegrenzten Verlängerung ihrer täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit ohne Zeitausgleich verpflichten. Eine solche Einwilligung können sie jederzeit widerrufen – allerdings mit einer Frist von sechs Monaten. Möglich ist diese „Opt-Out-Regelung“ nach dem Arbeitszeitgesetz nur, wenn „durch besondere Regelungen sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird“.
Angewandt wird diese Ausnahmeregel insbesondere von Krankenhäusern, Rettungsdiensten oder Betreuungseinrichtungen mit Nachtbereitschaften. So kann etwa bei den Ärzten in kommunalen Krankenhäusern mit deren Zustimmung die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden ohne Ausgleich bis auf 58 Stunden verlängert werden. Generell muss bei einer Verlängerung der täglichen Arbeitszeit über zwölf Stunden hinaus im Anschluss an die Arbeitszeit eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden gewährt werden.
Wie werden Bereitschaftszeiten bezahlt?
Gesetzliche Regelungen dafür gibt es nicht. Klar ist aber, dass es sich bei Bereitschaftszeiten um vergütungspflichtige Arbeitszeiten handelt. Klar ist auch: Bereitschaftszeiten, in denen Arbeitnehmer fernsehen oder schlafen, sind mit weniger Belastungen verbunden als Zeiten mit Vollarbeit. Deshalb werden sie in der Regel auch geringer vergütet als reguläre Vollarbeitszeiten.
Wie diese Vergütung im Einzelnen erfolgt, ist von den jeweiligen Regelungen im Arbeits- oder Tarifvertrag abhängig. In vielen Tarifverträgen wird die Bezahlung von der „üblichen“ tatsächlichen Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes abhängig gemacht. Nimmt man zum Beispiel an, dass Arbeitnehmer im Durchschnitt während der Hälfte der Bereitschaftszeit zur Arbeit herangezogen werden, so besteht während der Bereitschaftszeit ein Anspruch auf 50 Prozent der normalen Stundenvergütung. Dazu kommen üblicherweise noch Zuschläge für Bereitschaftszeiten in der Nacht oder an Sonn- und Feiertagen.
Sobald ein Arbeitnehmer allerdings zur Arbeit abberufen wird, beginnt seine normale Arbeitszeit – und damit auch die reguläre Entlohnung (einschließlich aller Zuschläge). Wenn vor der direkten Arbeitsaufnahme noch eine (kurze) Fahrzeit zur Arbeitsstelle notwendig ist, dann zählt auch diese schon zur regulären Arbeitszeit.
Am 29. Juni 2016 hatte das BAG entschieden, dass das Mindestlohngesetz auch für Bereitschaftszeiten gilt (Az.: 5 AZR 716/15). Das bedeutet allerdings nicht, dass für jede Bereitschaftsstunde der gesetzliche Mindestlohn (derzeit: 9,35 Euro) zu zahlen ist. Es kommt vielmehr auf den durchschnittlichen Stundenlohn während der gesamten Arbeitszeit – also der normalen Arbeitszeit plus der Bereitschaftszeit – an. Dieser darf die Mindestlohngrenze nicht unterschreiten.
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Kann sich ein Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit auch zu Hause aufhalten?
Das ist in Ausnahmefällen möglich. Aber nur dann, wenn der Weg zur Arbeitsstelle kurz ist und der Arbeitgeber nichts Gegenteiliges angeordnet hat. Das hat auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 21. Februar 2018 entschieden (Az.: C-518/15 - Matzak). Es ging um einen Feuerwehrmann aus Nivelles in Belgien. Dieser musste – genau wie seine Kollegen – innerhalb kürzester Zeit die Feuerwehrkaserne erreichen können. Konkret war vertraglich geregelt: Bei einer Bereitschaftszeit muss er sich „jederzeit in einer Entfernung von der Feuerwehrkaserne aufhalten, die es ihm erlaubt, sie bei normalem Verkehrsfluss in höchstens acht Minuten zu erreichen.“ Das traf für seine Wohnung zu. Deshalb hielt er sich dort auch während der Bereitschaftszeit auf. Trotzdem gelte diese Zeit als Arbeitszeit, stellte der EuGH fest. Denn die enge zeitliche Vorgabe, die Feuerwehrkaserne beim Bereitschaftsdienst innerhalb von acht Minuten zu erreichen, schränke seine Möglichkeit erheblich ein, „sich eigenen Tätigkeiten zu widmen.“ Dass sich der Feuerwehrmann zu Hause (und nicht im Betrieb) aufhalten konnte, hielt das Gericht für unerheblich.
Ähnlich hatten auch schon Gerichte in Deutschland geurteilt. So entschied etwa das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz am 20. September 2012 in einem rechtskräftigen Urteil (Az.: 11 Sa 81/12): Wenn ein Arzt vertraglich verpflichtet ist, bei einem Dienst innerhalb von 15 bis 20 Minuten zur Arbeitsaufnahme in der Klinik zu sein, dann handelt es sich dabei um einen Bereitschaftsdienst und Arbeitszeit – auch wenn er sich während dieser Zeit in seiner Wohnung in der Nähe der Klinik aufhält. Denn ihm sei dann die Möglichkeit genommen, sich „während der Dienste frei zu bewegen“ und sich zum Beispiel seinen Hobbys zu widmen.