Deutschland altert und Deutschland wird pflegebedürftiger. Folglich steigen die Ausgaben für die Pflege zwangsläufig an. Die Pflegeversicherung wird deshalb für die weitaus meisten Versicherten ab Juli 2023 deutlich teurer. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit mittlerem Einkommen zahlen nun monatlich bis zu 20 Euro mehr als bisher. Wer Kinder hat, bekommt allerdings einen Rabatt, es müssen dabei nicht die eigenen leiblichen Kinder sein.
Pflegeversicherung Beitrag: Seit 1. Juli 2023 gelten neue Beitragsstufen
Bereits seit 1. Juli 2023 gelten die Änderungen, die die Beiträge zur Pflegeversicherung betreffen: Die Beitragssätze steigen und ihre Höhe richtet sich stärker danach, wie viele Kinder die Versicherten haben. Eine entsprechende Gesetzesänderung hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 7. April 2022 verlangt. Die Karlsruher Richter befanden, es sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, dass beitragspflichtige Eltern „in der sozialen Pflegeversicherung unabhängig von der Zahl, der von ihnen betreuten und erzogenen Kinder mit gleichen Beiträgen belastet werden“ (Az.: 1 BvL 3/18 u.a.).
Forderung Bundesverfassungsgericht: Rabatte für Versicherte mit Kind – Zuschlag für Kinderlose
Das oberste deutsche Gericht gab dem Gesetzgeber damit den Auftrag, Eltern stärker zu entlasten, was im Gegenzug bedeutet, dass Kinderlose stärker zu belasten sind. Die Idee ist dabei: Die nachfolgende Generation pflegt die Elterngeneration. Das Aufziehen und die Betreuung von Kindern soll daher belohnt werden. Der Gesetzgeber musste nun aktiv werden, um das Urteil umzusetzen. Herausgekommen ist eine kompliziertere Beitragsstruktur mit künftig de facto sechs Beitragsstufen.
Bisher lag der allgemeine Beitrag zur Pflegeversicherung bei 3,05 Prozent. Diesen teilten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer (bis auf Sachsen). Für Kinderlose kam bislang – ohne Arbeitgeberbeteiligung – ein Zuschlag von 0,35 Prozentpunkten hinzu, wobei der Zuschlag nicht für Versicherte unter 23 Jahren und ebenfalls nicht für Hochbetagte (vor 1940 geboren) galt. Der recht geringe Zuschlag für Kinderlose – das war bislang der einzige Unterschied, der hinsichtlich der Versicherungsbeiträge zwischen Versicherten mit und ohne Kinder gemacht wurde. Das reichte dem Bundesverfassungsgericht nicht. Nun ist die Kluft zwischen den Versicherten mit und ohne Kind
- größer (mindestens 0,60 statt 0,35 Prozent) und
- wird innerhalb der Versicherten mit Kind zusätzlich noch nach der Zahl der Kinder differenziert.
Unverändert gilt: Die Höhe des „Kinderanteils“ beziehungsweise des Zuschlags für Kinderlose und des Rabatts nach Kinderzahl spielt nur für Versicherte eine Rolle, nicht jedoch für deren Arbeitgeber. Der Arbeitgeberanteil liegt ab Juli 2023 generell bei 1,70 Prozent (bis auf Sachsen, siehe Sonderregelung!) – unabhängig davon, welchen Beitrag Versicherte zahlen. Und unverändert gilt weiterhin auch: Rentner zahlen – anders als bei der Krankenversicherung – den kompletten Beitrag selbst. Die Rentenversicherung beteiligt sich hieran nicht.
Sonderregelung in Sachsen
Eine Ausnahme für die Aufteilung des Beitrags zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt es in Sachsen. Hier übernehmen Arbeitgeber nicht die Hälfte des Standardbeitrags, sondern nur einen Anteil von 1,20 Prozent (statt 1,70 Prozent). Der Grund für diese Sonderregelung: Seit 1994 ist der Buß- und Bettag in Deutschland kein gesetzlicher Feiertag mehr. Den Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen wurde damit ein zusätzlicher Arbeitstag sozusagen „geschenkt“. Im Gegenzug beteiligen sie sich paritätisch, also zu gleichen Teilen wie Arbeitnehmer an der Finanzierung der Pflegeversicherung. Nur Sachsen folgte dieser Regelung nicht. Hier ist der Buß- und Bettag nach wie vor ein gesetzlicher Feiertag. Dafür beteiligen sich die Arbeitgeber hier an der Finanzierung der Pflegeversicherung nur mit einem Anteil von 1,20 Prozent statt 1,70 Prozent und Arbeitnehmer zahlen entsprechend 0,50 Prozent mehr.
Pflegeversicherung Beitrag 2023: Wie hoch ist mein neuer Beitragssatz?
Kinderlose zahlen seit 1. Juli vier Prozent an die Pflegeversicherung, 0,6 Prozent mehr als bisher. Versicherte mit Kind kommen günstiger weg – egal wie alt ein Kind ist. Sie zahlen nun 3,4 Prozent statt 3,05 Prozent. Der Satz von 3,4 Prozent gilt auch für Versicherte, die vor 1940 geboren wurden oder noch nicht 23 Jahre alt sind. Rentner tragen den kompletten Beitrag alleine, bei Arbeitnehmern beteiligt sich der Arbeitgeber generell mit 1,7 Prozent – egal ob die Versicherten Kinder haben oder nicht. In Sachsen zahlen Arbeitgeber nur 1,2 Prozent, Arbeitnehmer dagegen jeweils 0,5 Prozent mehr als in anderen Bundesländern.
Für Versicherte mit Kind, für die ohnehin der ermäßigte Beitragssatz von 3,4 Prozent gilt, gibt es einen weiteren Beitragsrabatt, aber dieses Mal nur für Kinder unter 25 Jahren. Ab dem zweiten Kind unter dieser Altersgrenze gibt es zusätzliche Abschläge von 0,25 Prozent pro Kind. Maximal reduziert sich der Beitragssatz bis auf 2,4 Prozent (bis mindestens fünf Kinder unter 25). Der Abschlag fällt weg, sobald ein Kind 25 Jahre alt wird.
Gesetzliche Pflegeversicherung: Die neuen Beitragssätze seit 1. Juli 2023 im Überblick
Versicherteneigenschaft | Neuer Beitragssatz |
Versicherte ohne Kind | = 4,00 % (Arbeitnehmeranteil: 2,30 %, Sachsen: 2,80 %) |
Versicherte mit einem Kind, sowie unter 23-Jährige und Jahrgänge vor 1940 |
= 3,40 % (Arbeitnehmeranteil: 1,70 %, Sachsen: 2,20 %) |
Versicherte mit zwei Kindern unter 25 Jahren |
= 3,15 % (Arbeitnehmeranteil: 1,45 %, Sachsen: 1,95 %) |
Versicherte mit drei Kindern unter 25 |
= 2,90 % (Arbeitnehmeranteil: 1,20 %, Sachsen: 1,70 %) |
Versicherte mit vier Kindern unter 25 Jahren |
= 2,65 % (Arbeitnehmeranteil: 0,95 %, Sachsen: 1,45 %) |
Versicherte mit fünf und mehr Kindern unter 25 Jahren |
= 2,40 % (Arbeitnehmeranteil: 0,70 %, Sachsen: 1,20 %) |
Quelle: Biallo.de; nach eigener Recherche; Stand: Juni 2023.
Beitragsfestsetzung: Auf die richtige Einstufung kommt es an
Es gibt wohl in Deutschland hunderttausende, vielleicht mehr als eine Million Menschen, die derzeit bereits in der gesetzlichen Pflegeversicherung fälschlicherweise als „ohne Kind“ eingestuft sind. Denn auch bislang hing alles an der korrekten Meldung der „Elterneigenschaft“ – wie es in der Sprache der Sozialversicherung heißt – durch die Versicherten selbst.
Elterneigenschaft in der Pflegeversicherung
Die Elterneigenschaft im Sinne der Pflegeversicherung hat nichts mit den Kindererziehungszeiten bei der Rente zu tun. Diese rentenrechtlichen Zeiten werden meist entweder der Mutter (überwiegend) oder dem Vater (seltener) zugeteilt. Die Elterneigenschaft im Sinne der Pflegeversicherung haben aber immer beide Partner. Beide müssen deshalb im Falle, dass sie Eltern sind, geringere Beiträge an die Pflegeversicherung zahlen. Und gegebenenfalls trifft dies in manchen Fällen für ein einziges Kind auch noch für eine Reihe weiterer Personen zu. Ein Kind hat also unter Umständen in der Pflegeversicherung viele Eltern. Dies galt bislang schon, wird aber durch die seit dem 1. Juli 2023 geltende Regelung noch ungleich wichtiger.
Neuregelungen Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG)
Die Neuregelungen finden sich im Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG), das am 26. Mai 2023 in dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet wurde. Mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt trat es am 1. Juli 2023 in Kraft. Das Gesetz bringt zudem einige Änderungen bei den Leistungen der Pflegeversicherung. Diese treten durchweg erst später in Kraft, teilweise Anfang 2024.
Zweistufiges Verfahren zur Beitragsfestsetzung
Das Verfahren, mit dem die Beiträge zur Pflegeversicherung festgesetzt werden, ist damit nun im Prinzip zweistufig.
- Elterneigenschaft – ja oder nein? Zunächst geht es darum, die „Elterneigenschaft“ (mit den Antwortmöglichkeiten „ja“ oder „nein“) der Versicherten festzustellen. Hierbei spielt das Alter der Kinder keine Rolle. Auch wer als 80-Jähriger ein 60-jähriges Kind hat, hat die Elterneigenschaft. Für den Betreffenden gilt der Beitragssatz von 3,40 Prozent.
- Sind Kinder in der Erziehungszeit? Wenn es um den zusätzlichen Beitragsabschlag von 0,25 Prozent geht, kommt es jedoch darauf an, ob Kinder noch in der „Erziehungszeit“ sind. Diese endet – so definiert es der Gesetzgeber – mit Vollendung des 25. Lebensjahres der Kinder (unabhängig vom Kindergeldanspruch der Eltern). Soweit ein Elternteil zwei oder mehr Kinder hat, die sich noch in der „Erziehungszeit“ befinden, gewährt die Pflegeversicherung ab dem zweiten Kind einen Beitragsabschlag von 0,25 Prozent. Wer zwei Kinder in der „Erziehungszeit“ hat, für den gilt damit ein Beitragssatz von (3,40 minus 0,25 Prozent =) 3,15 Prozent. Maximal wird allerdings ein Abschlag von einem Prozentpunkt auf 2,40 Prozent gewährt (wovon der Arbeitgeber 1,70 Prozent trägt). Diese niedrigste Beitragsstufe wird erreicht, wenn ein Versicherter fünf Kinder in der „Erziehungszeit“ hat. Ab dem sechsten Kind gibt es damit keinen zusätzlichen Abschlag mehr.
Beispiel: Beitragsabschlag kann sich jederzeit ändern
Die Kopplung des Beitragsabschlags an die „Erziehungszeit“ hat zur Folge, dass sich der Beitragsabschlag jederzeit ändern kann. Folgendes Beispiel zeigt, wie die Pflegeversicherung rechnet und was der Arbeitgeber beziehungsweise seine Lohnbuchhaltung im Blick haben muss:
Beispiel: Eine Frau hat vier Kinder im Alter von 14 bis 24 Jahren. Für die Beitragserhebung der Pflegeversicherung gilt sie damit als „Versicherte mit vier Kindern“. Da sie grundsätzlich – und lebenslang – als „Versicherte mit Kind“ zählt, gilt für sie ohnehin der ermäßigte Beitragssatz von 3,40 Prozent. Zusätzlich bringen ihr aber die vier Kinder, die sich noch in der „Erziehungszeit“ befinden, einen Abschlag von 0,75 Prozentpunkten. Zur Erläuterung: Den zusätzlichen Abschlag von 0,25 Prozentpunkten gibt es erst ab dem zweiten „Zählkind“. Die Betreffende kommt damit auf einen Beitragssatz von (3,40 minus 0,75 Prozentpunkte =) 2,65 Prozent. Sobald das älteste Kind 25 Jahre alt wird, zählt sie als „Versicherte mit drei Kindern“ und kommt damit auf einen Beitragssatz von 2,90 Prozent. Mit jedem Kind, das die Altersgrenze von 25 Jahren erreicht, steigt ihr Pflegebeitrag dann um weitere 0,25 Prozentpunkte, maximal jedoch auf – derzeit – 3,40 Prozent.
Welche Kinder zählen: Was „Elterneigenschaft“ bedeutet
Zuständig für die korrekte Einstufung der Versicherten hinsichtlich ihrer „Elterneigenschaft“ sind die „beitragsabführenden Stellen“. Dazu gehören vor allem die Rentenversicherung und die Arbeitgeber. In vielen Betrieben werden derzeit Fragebögen an die Beschäftigten verteilt, um Informationen über die Zahl ihrer Kinder und deren Alter zu erhalten. Diese Daten sind nötig, um die korrekten Beiträge abzuführen. Ob Versicherte korrekt eingestuft sind oder nicht, das kann schließlich einen Unterschied von mehreren hundert Euro im Jahr machen.
Versicherte müssen über Kinder informieren
Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Gesetzes machen vor allem die Rabatte, die für zwei und mehr Kinder gewährt werden. Nach den von der Bundesregierung erhobenen Daten haben etwa neun Millionen beitragspflichtige Mitglieder der Pflegekassen zwei und mehr Kinder unter 25 Jahren. Nur bei zehn Prozent dieser Mitglieder dürfte die beitragsabführende Stelle beziehungsweise die Pflegekasse – so die Schätzung der Bundesregierung – über die genaue Anzahl der Kinder unter 25 Jahren Bescheid wissen. Bei den verbleibenden 90 Prozent der Mitglieder (= 8,10 Millionen) dürfte die genaue Anzahl der Kinder unter 25 Jahren nicht bekannt sein, sodass die Versicherten die beitragsabführende Stelle beziehungsweise die Pflegekasse entsprechend informieren müssen.