





Auf einen Blick
Verrückte Zeiten hat Robert Hartmann am Goldmarkt schon öfter erlebt. Während der Eurokrise in den Jahren 2011 und 2012 etwa: Da verzeichnete das Münchner Goldhandelshaus Pro Aurum, dem Hartmann als Geschäftsführer vorsteht, Rekordumsätze. Doch diesmal ist alles noch extremer. Um mehr als 50 Prozent liege man derzeit beim Umsatz über den Werten von damals. Seit Beginn der Corona-Krise sei die Nachfrage nach Goldmünzen und Goldbarren "drastisch gestiegen", sagt Hartmann. Andere Goldhändler berichten Ähnliches.
Gleichzeitig stockt wegen der Corona-Auflagen der Nachschub anGoldmünzen und -barren. Vielerorts kommt es zu Lieferverzögerungen. Und die Goldanleger fragen sich: Gibt es bald überhaupt keine Münzen oder Barren mehr zu kaufen?
So weit ist es noch nicht. Allerdings steht derzeit ein "erheblicher Mangel im Angebotsbereich einer enormen Nachfrage bei den Anlegern gegenüber", heißt es bei Degussa Goldhandel. Europas größter Edelmetallhändler verzeichnet seit Anfang März eine Nachfragesteigerung um 500 Prozent. Auch bei Pro Aurum hat sich die Gesamtzahl der Gold-Bestellungen von Privatkunden verfünffacht.
Auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten flüchten viele derzeit in das Edelmetall. "Die Menschen befürchten, dass nach der Krise die Märkte mit Geld geflutet werden, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, und es zu einer Geldentwertung kommt", sagt Dominik Lochmann von ESG Edelmetall-Service im badischen Rheinstetten: "Daher der Trend zu Sachwerten." Lochmanns Firma recycelt Altgold und lässt daraus Goldbarren fertigen, und sie handelt mit Edelmetallmünzen.
Auch sein Unternehmen bekommt zu spüren, dass die Versorgung mit physischem Gold ins Stocken geraten ist. "Nahezu alle Münzen und Barren sind aktuell knapp am Markt", sagt Lochmann. Hintergrund: Wegen der Corona-Krise stehen viele Produktionsstätten still.
So ruht derzeit die Arbeit bei drei Goldraffinerien im Schweizerischen Tessin. Dort werden rund 70 Prozent des weltweiten Minengoldes verarbeitet. Auch die staatlichen Prägeanstalten in den USA, Kanada oder Südafrika arbeiten nicht. Sie stellen die Goldmünzen American Eagle (USA), Maple Leaf (Kanada) und den vor allem in Deutschland beliebten südafrikanischen Krügerrand her. Die weltweite Minenproduktion läuft ebenfalls nur gedrosselt im Moment. Und: Der Flugbetrieb, über den Rohgold normalerweise von den Abbaugebieten zu den Raffinerien transportiert wird, ist weitgehend eingestellt.
Dennoch können die Goldhändler die Kunden bislang weiterhin beliefern. "Wir haben noch sehr viele Barren und Münzen gekauft, die uns in den kommenden Tagen erreichen", sagt Robert Hartmann von Pro Aurum. Auch bei Degussa heißt es, es seien weiterhin "physische Edelmetallreserven auf Lager". Der Verkauf läuft mittlerweile allerdings nur noch über das Internet. Ihre Filialen mussten die Händler wegen der Auflagen im Zuge der Corona-Krise schließen.
Weil die Abwicklung jedes Auftrags jedoch eine gewisse Zeit in Anspruch nehme, gebe es "eine natürliche Obergrenze für Aufträge, die wir über diesen Weg an einem Tag abwickeln können", erläutert Robert Hartmann: "Erreichen uns mehr Aufträge, führt das automatisch zu längeren Bearbeitungszeiten." Gleichzeitig verlangsamten die Auflagen zum Schutz der Mitarbeiter gegen eine Infektion die Abwicklung. Derzeit nehme man daher höchstens 500 Aufträge pro Tag an. Sie gehen meist bereits schon am frühen Vormittag ein. Auf die Auslieferung müssen die Kunden im Moment zehn bis zwölf Arbeitstage warten.
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Auch bei ESG Edelmetall hat man auf die Liefereinschränkungen reagiert. "Wir zeigen in unserem Shop nur die Produkte an, die physisch vorhanden sind", sagt Dominik Lochmann. Vorbestellungen nehme man keine entgegen. So könne man zumindest die bestellten Mengen wie gewohnt liefern. Bei derzeit nicht verfügbaren Produkten könnten die Kunden sich registrieren. Sie werden dann benachrichtigt, wenn es das Produkt wieder gibt und können es kaufen: "Wenn sie schnell genug sind."
Lochmann rechnet damit, dass die Engpässe in der Goldversorgung noch länger anhalten werden. Auch wenn die Produktion wieder anlaufe, werde es dauern, bis die Rückstände aufgearbeitet seien. Darüber hinaus dürfte das Nadelöhr in der Logistik noch eine Weile bestehen bleiben: Goldtransporte werden bis auf Weiteres nur eingeschränkt möglich sein. "Die Lage", meint auch Robert Hartmann, "bleibt prekär – und wird sich in den nächsten Wochen wohl noch verschärfen."
Bereits jetzt hat der deutliche Unterschied zwischen extrem starker Nachfrage und eingeschränktem Angebot dazu geführt, dass die Aufschläge beim Kauf von physischem Gold gestiegen sind. So zahlen Kunden normalerweise für eine Goldmünze mit dem Gewicht von einer Unze (31,1 Gramm) einen Aufschlag zum aktuellen Goldpreis von drei oder vier Prozent.
Derzeit sind diese Aufschläge deutlich höher – und sie variieren je nach Produkt. So kostet etwa eine Ein-Unzen-Krügerrandmünze derzeit zum Teil mehr als 1.800 Euro – bei einem Goldpreis von knapp 1.500 Euro. Die Preise für American Eagle und Maple Leaf liegen teilweise bei gut 1.700 Euro. Die Preise variieren jedoch von Händler zu Händler deutlich.
Dominik Lochmann rät Anlegern daher dazu, "sich nicht von der Panik des knappen Marktes anstecken" zu lassen. Die Aufgelder werden sich igendwann wieder normalisieren, meint er. Bis dahin könne man das Krisensprichwort beherzigen: "Cash is King" – also Bargeld halten und abwarten, wie sich der Markt und der Goldpreis nach der Krise entwickelt.
Wer dennoch jetzt kaufen wolle, sollte dagegen schauen, ob nicht eventuell statt der Lieblingsmünze oder dem Lieblingsbarren ein anderes Produkt günstiger zu bekommen sei. "Ein Gramm Gold", so Lochmann, "ist schließlich immer ein Gramm Gold."