Herr Dr. Jasperneite, am Thema Corona kommt niemand mehr vorbei. Wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?
Dr. Christian Jasperneite: Privat auf eine gewisse Art entspannt, weil man zum ersten Mal ganz bewusst das Home-Office erlebt. Aber auch nicht nur entspannt, weil man Kinder zu Hause hat, die nicht in die Schule oder Kita können und die man mit Schularbeiten versorgen und neben dem Job unterstützen muss. Bisher funktioniert das alles aber sehr gut.
Beruflich brachten die vergangenen Tage eine ganz neue Erfahrung. Denn sehr viele Kollegen sind derzeit im Home-Office tätig, was bei einem digitalen Produkt ohne weiteres möglich ist. Das ist auch ein großer Vorteil im Umfeld von Robo-Advice, da wir erstmalig über alle Prozesse hinweg sehen können, wie stressresistent unser digitales Angebot in Krisensituationen ist.
Ich habe sogar das Gefühl, dass wir uns geradezu beweisen möchten, dass wir dieser Tage besonders produktiv sein können. Ich sehe da außergewöhnlich viel Elan bei den Kolleginnen und Kollegen nach der Devise "immer weiter machen". Allerdings weiß ich nicht, ob wir das viele Wochen so aufrechterhalten können. Aber im Moment kann ich sagen, dass der Laden läuft und es gibt nichts Negatives zu vermelden.
Aber neben der privaten und beruflichen gibt es ja auch noch die volkswirtschaftliche Ebene? Da läuft es momentan weniger rund.
Jasperneite: Da sehe ich die Lage deutlich weniger entspannt. Wir machen uns hier schon Sorgen, da wir in den nächsten Wochen in eine veritable Krise rutschen, die zum Teil am Kapitalmarkt schon eingepreist wurde.
Jedoch glaube ich, dass viele Personen, auch Profis und Marktteilnehmer sowie einzelne Politiker den Ernst der Lage immer noch nicht ganz verstanden haben. Denn das Coronavirus konfrontiert uns in seinen Auswirkungen mit exponentiellen Prozessen, die in unterschiedlichen Phasen erst sehr schleichend zu beobachten sind und dann aus dem Nichts explodieren. Das ist uns im "normalen" Leben fremd, weil wir es grundsätzlich mit linearen Prozessen zu tun haben und dafür hat der Mensch eine Intuition, eine Art sechsten Sinn.
Aber selbst Experten haben immer noch kein Gefühl dafür, was in China, Iran und in Italien geschehen ist und was uns in Deutschland, aber vor allem in Großbritannien, Frankreich, Spanien und den USA, noch bevorsteht. Insbesondere auch, was das global und in Summe wirtschaftlich bedeutet, wenn überall hintereinander quasi Shutdowns stattfinden. Das ist für den Einzelnen ganz schwer vorstellbar.
Am besten ist das erkennbar, wenn man sich ökonomische Analystenschätzungen und allgemeine Gewinnprognosen für das erste und zweite Quartal 2020 anschaut. Ich persönlich frage mich da: Schlafen die alle? Da passiert in den Revisionen annähernd nichts. Wenn ich die Verantwortlichen dann frage, was sie da überhaupt treiben, dann erhält man Antworten wie beispielsweise "das Unternehmen gibt mir hierzu keinerlei Orientierungshilfe".
Bloß auch ohne Orientierungshilfe kann man deutlich sehen, dass alles Mögliche zusammenbricht. Dieser fehlende Realismus ist der Grund, warum die Kurs-Gewinn-Verhältnisse vermeintlich noch relativ attraktiv ausschauen. Jedoch sind diese keineswegs attraktiv, weil die Gewinne schon längst dramatisch nach unten revidiert werden müssten.
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Das erinnert mich ein bisschen an die Krise im Jahr 2008. Auch da wurden die Schätzungen lange nicht korrigiert. Erst nach der Lehman-Pleite fanden einschneidende Revisionen statt und auf einmal waren die Ausverkaufskurse gar keine Schnäppchen mehr, sondern ein weltweiter Flächenbrand. In diesem Prozess befinden wir uns gerade und das allein ist Argument genug, nicht zu früh Aktienquoten aufzustocken.