Robo-Advisor

Vanguard Invest-Chef im Interview: „Wir folgen ausschließlich dem Index“

Redaktion
Redakteur
Veröffentlicht am: 13.09.2022

Auf einen Blick

  • Der ETF-Anbieter Vanguard hat im Februar dieses Jahres eine digitale Vermögensverwaltung in Deutschland gestartet.
  • Im laufenden Jahr will Vanguard Invest auch ein „Do-it-yourself“-Angebot für Selbstentscheider platzieren.
  • Im Interview mit biallo.de erklärt Jesper Wahrendorf, Leiter Vanguard Invest, wie die Anlagestrategien funktionieren und welchen Mehrwert der neue Robo-Advisor bietet.
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Der Name Vanguard dürfte vielen ETF-Anlegern hierzulande mittlerweile ein Begriff sein. Der genossenschaftliche US-Vermögensverwalter wurde im Jahr 1975 von „Jack“ Bogle gegründet – dem „Vater der Indexfonds“. 1976 legte Bogle den ersten Indexfonds für Privatanleger auf, den „Vanguard 500“. Gut 40 Jahre später wurden die ersten Vanguard-ETFs an der Deutschen Börse gehandelt.

Im Februar dieses Jahres schließlich startete Vanguard seine digitale Vermögensverwaltung „Vanguard Invest“ mit hauseigenen Indexfonds und ETFs. Im Interview mit biallo.de nennt Vanguard Invest-CEO Jesper Wahrendorf die Gründe für den Markteintritt und erklärt, warum die Deutschen gegenüber den USA in puncto Vermögensaufbau „ein Stück weit benachteiligt“ sind.

Herr Wahrendorf, der Robo-Advisor-Markt in Deutschland ist hart umkämpft. Außerdem drückt das schwache Marktumfeld auf die Stimmung. Die Voraussetzungen für Ihren Marktstart hätten durchaus besser sein können. Was meinen Sie?

Jesper Wahrendorf: Tatsächlich hätten wir uns ein besseres Umfeld für unseren Marktstart in Deutschland gewünscht. Wir sehen allerdings auch, dass gerade einmal 17 Prozent der Deutschen am Kapitalmarkt engagiert sind und eine deutliche Mehrheit immer noch den Worten des damaligen Bundesarbeitsministers Norbert Blüm Glauben schenkt, dass die Rente sicher ist. Rürup und Riester tun ihr Übriges dazu. Wir wissen jedoch, dass dem leider nicht so ist. Es gibt kaum einen anderen Markt, wo es einen derart großen Bedarf an besserem Sparen gibt, als es in der Vergangenheit der Fall war. Daher glauben wir, dass der Zeitpunkt grundsätzlich gut ist, weil wir noch ganz am Anfang der Kurve sind, was den deutschen Markt angeht. Wir freuen uns, dass wir als Marktbegleiter Bewusstsein für dieses Thema schaffen können. Eine Marktkrise ist natürlich immer auch eine Herausforderung, aber es gibt eben diesen wunderbaren Begriff „Vanguard weather“ (Vanguard-Wetter; Anm. d. Red). Denn in Krisenzeiten suchen die Leute einen „sicheren“ Hafen für ihre Finanzen. Und wir haben in der Vergangenheit in anderen Märkten durchaus in solchen Zeiten eher Mittelzuflüsse bei Vanguard gesehen als andersrum, vor allem langfristig betrachtet.

Eine Kooperation mit einem bestehenden Anbieter wäre vielleicht etwas einfacher gewesen. Oder sehen Sie die Marke Vanguard stark genug, dass Sie es hier auch alleine schaffen?

Wahrendorf: Die Marke Vanguard kommt gut an, auch in anderen Märkten. Gerade in den USA kennt jeder Vanguard. Schönes Beispiel: Ich hatte neulich einen Freund in den USA gefragt, ob er auch ETFs oder dergleichen für den Vermögensaufbau nutzt. Seine Antwort: „Ich mache nur Vanguard!“ Da musste ich natürlich schmunzeln, schließlich sind ETFs und Indexfonds unser Kerngeschäft. Aber die wesentliche Philosophie und DNA von Vanguard ist eben nicht, jemanden dazwischenzuschalten. Wir geben keine Provisionen oder Kickbacks in den Vertriebskanal, sondern unser Produkt steht für das, was es ist: fair, transparent und kostengünstig. Und das möchten wir auch den deutschen Kunden hier ermöglichen. Daher haben wir uns dazu entschieden, eine eigene Lösung im Markt zu launchen.

Wie unterscheidet sich der typische US-Kunde vom deutschen Kunden? Da scheint es in Sachen Vermögensaufbau hierzulande noch Aufklärungsbedarf zu geben.

Wahrendorf: Wir haben strukturell per se schon mal einen Nachteil in Deutschland. Wir haben in den USA durch „401k“ und andere Alterssicherungsprogramme ganz gezielte Anreize für den Privatanleger, das Thema Vermögensaufbau anzugehen. Wenn ich einem US- oder UK-Kollegen erzähle, dass es hier in Deutschland einen Steuerfreibetrag von 801 Euro gibt, dann fragen sie mich: „pro Monat?“ Wenn ich dann sage, dass der Freibetrag pro Jahr und pro Person gilt, kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es gibt hier einfach keine strukturellen Anreize. Stattdessen liegt der Fokus immer noch auf Staatsrenten, Betriebsrenten und dergleichen, die es in dieser Form in den USA nicht gibt.

Erstaunlicherweise haben die Deutschen eine negative Konnotation mit den Begriffen „Anlegen“ und „Investieren“. Das wird dann häufig mit „Spekulieren“ oder „Zocken“ assoziiert – wie etwa bei Wirecard. Würde man stattdessen von „Schwedenrente“ statt „Aktienrente“ sprechen, wäre die Assoziation wohl eine bessere. Da spielt sicher auch die mangelnde Erfahrung mit rein, dass man hierzulande nicht erkennt, dass es langfristig – über zehn, 15 oder 20 Jahre – durchaus Sinn macht, Bärenmärkte auszusitzen und investiert zu bleiben. Das ist in Deutschland schon fast stereotypisch: Wenn etwas gehypt wird, springen oft auch die letzten deutschen Kleinstanleger drauf. Dann rauscht der Zug ab und viele schauen in die Röhre. Da ist noch viel edukative Arbeit nötig, damit Deutschland auf dem Niveau von USA, UK oder auch anderen Märkten ankommt.

Besteht die Crux nicht auch in der mangelnden Finanzbildung im deutschen Schulsystem, wo junge Leute 13 Jahre bis zum Abitur durchlaufen, ohne überhaupt zu lernen, was eine Aktie ist?

Wahrendorf: Da kann ich zu 100 Prozent zustimmen! Ich sehe es auch am Beispiel meiner Tochter, die gerade in die fünfte Klasse gekommen ist. Da fehlt das Thema Finanzmarkt komplett im Stundenplan. Kein Mensch weiß, wie Investieren geht oder wie eine Steuererklärung funktioniert et cetera. Das lässt sich beliebig fortführen und da sind die Deutschen schon ein Stück weit benachteiligt.

Auch bei den Kosten sind die US-Robos deutlich günstiger als ihre deutschen Pendants. Mit Ihrem neuen Angebot dürften Sie den Kostendruck hierzulande auf jeden Fall erhöhen.

Wahrendorf: Wir sind nicht mit einem Lockangebot in den Markt gestartet. Unsere Philosophie ist anders gestrickt. Wenn Volumina reinkommen, realisieren wir Skaleneffekte. Da wir keinem Shareholder verpflichtet sind, werden die Gewinne, die wir durch Skaleneffekte erzielen, nicht ausgeschüttet, sondern entweder intern reinvestiert oder in Form von Kostensenkungen genutzt. So haben wir es über die Jahre in den USA geschafft, die durchschnittlichen Produktkosten von rund 80 auf neun Basispunkte zu reduzieren. Gleiches in Deutschland: Wenn wir merken, das Ding fliegt und wir bekommen die Volumina rein, dann ist der natürliche Vanguard-Effekt, auch irgendwann weiter an der Kostenschraube zu drehen und den Anlegern das zurückzugeben. So haben wir zum Beispiel in Deutschland Ende 2019 die Kosten in unseren Produkten flächendeckend gesenkt.

Welchen Mehrwert – abgesehen von den günstigen Kosten – können Sie den Anlegern mit ihrem Robo-Advisor noch bieten?

Wahrendorf: Für uns ist die Simplifizierung des Anlegens das große Thema. „Schlichte Fichte“, hatte ein früherer Chef von mir einmal gesagt. Das bedeutet, das Angebot muss so gestrickt sein, dass keine Fragen offenbleiben. Bei uns gibt es eben nicht die Möglichkeit, aus mehreren hundert verschiedenen Fonds ein Portfolio zusammenzustellen und irgendwie 20 Regler nach rechts und links zu schieben. Da ist jeder überfordert! Wir wollen es dem Kunden so einfach und transparent wie möglich machen. Es geht darum, die Anleger wirklich bildlich an die Hand zu nehmen und mögliche Ängste und Vorbehalte aus dem Weg zu räumen. Wir wollen dem Kunden ein gutes Gefühl geben, dass er mit Vanguard nichts verkehrt macht. Einfach, transparent und letztlich auch kostengünstig lautet die Devise, weil sich mit niedrigen Kosten auch die persönliche Rendite erhöht.

Jetzt gelten die Deutschen nicht gerade als digitalaffin. Vor allem Seniorinnen und Senioren haben gegenüber rein digitalen Angeboten oft noch Vorbehalte und wollen auf einen persönlichen Ansprechpartner nicht verzichten.

Wahrendorf: Wir haben auch hier vorgesorgt, dass man bei Vanguard jederzeit jemanden anrufen kann, der einen an die Hand nimmt und begleitet. Deshalb tue ich mich auch so schwer mit dem Begriff „Robo“, weil dieser suggeriert, dass es nur eine Maschine und einen Algorithmus dahinter gibt. Wir haben aber auch persönliche Ansprechpartner. Ganz wichtig dabei: Das ist keine Beratung im eigentlichen Sinne, sondern unsere Mitarbeiter helfen einem in der Antragstrecke, um Vanguard-Kunde zu werden, und beantworten auch Fragen rund um das Produkt. Wir können aber keine Produktempfehlung aussprechen.

Wie steuern Sie das Risiko in den Portfolios?

Wahrendorf: Wir folgen ausschließlich dem Index und betreiben passives Portfoliomanagement. Wir brauchen keinen Value at Risk, dynamische Cashquoten oder sonstige Spielereien. Wenn die Gewichtung der Anlageklassen aufgrund der jeweiligen Performance ein Rebalancing erfordert, dann erfolgt das voll automatisiert. Da gibt es keine menschlichen Komponenten dahinter. Außerdem versuchen wir, so wenig wie möglich einzugreifen, weil jeder Eingriff de facto Kosten produziert – zu Lasten des Anlegers.

Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Monate gesetzt?

Wahrendorf: Wir planen, unser Angebot zu komplettieren. Wir haben bisher einem Produkt zur Geburt verholfen – die digitale Vermögensverwaltung. Jetzt arbeiten wir mit Hochdruck am Direktvertrieb für Selbstentscheider, dem zweiten Baustein im Angebot von Vanguard Invest. Das Jahr 2022 steht bei Vanguard quasi unter der Überschrift „Bauen“. Wir werden dann 2023 mit dem Kundenfeedback unser Angebot optimieren. Wir haben viele Optionen auf der Roadmap und möchten gern datengetrieben vorgehen, um zu eruieren, was der Kunde braucht: Macht es zum Beispiel Sinn, innerhalb des Steuerfreibetrags zu optimieren, oder macht es vielleicht mehr Sinn, auf ein Rentenmodell zu gehen? Das wird letztlich der Kunde durch sein Nutzerverhalten entscheiden können.

Ist dann auch die Einführung von rein nachhaltigen Strategien bei Vanguard geplant?

Wahrendorf: Es kam ja Mifid II im August dieses Jahres und damit auch das ganze Thema ESG. Da sind wir aktuell dran und werden dementsprechend auch liefern. Wir haben bereits die Fonds und ETFs, die es braucht, um ein entsprechendes Portfolio zu bauen. Mittelfristig soll das auch in unserer digitalen Vermögensverwaltung möglich sein.

In den USA verwaltet Vanguard im Bereich Robo Advice bereits gut 200 Milliarden US-Dollar. Der Marktführer in Deutschland, Scalable Capital, kommt inklusive Brokergeschäft auf gerade mal zehn Milliarden Euro. Wie lautet Ihr Ziel für Deutschland?

Wahrendorf: Unsere Mission ist es, jedem Anleger die besten Chancen auf Anlageerfolg zu geben. Dabei geht es uns eben auch um die schon genannten edukativen Aspekte: Wir müssen die Deutschen mehr an den Kapitalmarkt bringen und somit den ehrlichen Blick auf die Wichtigkeit der Altersvorsorge lenken. Wenn wir mittel- und langfristig dabei unseren Part spielen können, haben wir ein ganz großes Ziel erreicht.

Herr Wahrendorf, besten Dank für das Interview.

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