Wie unterscheidet sich der typische US-Kunde vom deutschen Kunden? Da scheint es in Sachen Vermögensaufbau hierzulande noch Aufklärungsbedarf zu geben.
Wahrendorf: Wir haben strukturell per se schon mal einen Nachteil in Deutschland. Wir haben in den USA durch „401k“ und andere Alterssicherungsprogramme ganz gezielte Anreize für den Privatanleger, das Thema Vermögensaufbau anzugehen. Wenn ich einem US- oder UK-Kollegen erzähle, dass es hier in Deutschland einen Steuerfreibetrag von 801 Euro gibt, dann fragen sie mich: „pro Monat?“ Wenn ich dann sage, dass der Freibetrag pro Jahr und pro Person gilt, kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es gibt hier einfach keine strukturellen Anreize. Stattdessen liegt der Fokus immer noch auf Staatsrenten, Betriebsrenten und dergleichen, die es in dieser Form in den USA nicht gibt.
Erstaunlicherweise haben die Deutschen eine negative Konnotation mit den Begriffen „Anlegen“ und „Investieren“. Das wird dann häufig mit „Spekulieren“ oder „Zocken“ assoziiert – wie etwa bei Wirecard. Würde man stattdessen von „Schwedenrente“ statt „Aktienrente“ sprechen, wäre die Assoziation wohl eine bessere. Da spielt sicher auch die mangelnde Erfahrung mit rein, dass man hierzulande nicht erkennt, dass es langfristig – über zehn, 15 oder 20 Jahre – durchaus Sinn macht, Bärenmärkte auszusitzen und investiert zu bleiben. Das ist in Deutschland schon fast stereotypisch: Wenn etwas gehypt wird, springen oft auch die letzten deutschen Kleinstanleger drauf. Dann rauscht der Zug ab und viele schauen in die Röhre. Da ist noch viel edukative Arbeit nötig, damit Deutschland auf dem Niveau von USA, UK oder auch anderen Märkten ankommt.
Besteht die Crux nicht auch in der mangelnden Finanzbildung im deutschen Schulsystem, wo junge Leute 13 Jahre bis zum Abitur durchlaufen, ohne überhaupt zu lernen, was eine Aktie ist?
Wahrendorf: Da kann ich zu 100 Prozent zustimmen! Ich sehe es auch am Beispiel meiner Tochter, die gerade in die fünfte Klasse gekommen ist. Da fehlt das Thema Finanzmarkt komplett im Stundenplan. Kein Mensch weiß, wie Investieren geht oder wie eine Steuererklärung funktioniert et cetera. Das lässt sich beliebig fortführen und da sind die Deutschen schon ein Stück weit benachteiligt.
Auch bei den Kosten sind die US-Robos deutlich günstiger als ihre deutschen Pendants. Mit Ihrem neuen Angebot dürften Sie den Kostendruck hierzulande auf jeden Fall erhöhen.
Wahrendorf: Wir sind nicht mit einem Lockangebot in den Markt gestartet. Unsere Philosophie ist anders gestrickt. Wenn Volumina reinkommen, realisieren wir Skaleneffekte. Da wir keinem Shareholder verpflichtet sind, werden die Gewinne, die wir durch Skaleneffekte erzielen, nicht ausgeschüttet, sondern entweder intern reinvestiert oder in Form von Kostensenkungen genutzt. So haben wir es über die Jahre in den USA geschafft, die durchschnittlichen Produktkosten von rund 80 auf neun Basispunkte zu reduzieren. Gleiches in Deutschland: Wenn wir merken, das Ding fliegt und wir bekommen die Volumina rein, dann ist der natürliche Vanguard-Effekt, auch irgendwann weiter an der Kostenschraube zu drehen und den Anlegern das zurückzugeben. So haben wir zum Beispiel in Deutschland Ende 2019 die Kosten in unseren Produkten flächendeckend gesenkt.
Welchen Mehrwert – abgesehen von den günstigen Kosten – können Sie den Anlegern mit ihrem Robo-Advisor noch bieten?
Wahrendorf: Für uns ist die Simplifizierung des Anlegens das große Thema. „Schlichte Fichte“, hatte ein früherer Chef von mir einmal gesagt. Das bedeutet, das Angebot muss so gestrickt sein, dass keine Fragen offenbleiben. Bei uns gibt es eben nicht die Möglichkeit, aus mehreren hundert verschiedenen Fonds ein Portfolio zusammenzustellen und irgendwie 20 Regler nach rechts und links zu schieben. Da ist jeder überfordert! Wir wollen es dem Kunden so einfach und transparent wie möglich machen. Es geht darum, die Anleger wirklich bildlich an die Hand zu nehmen und mögliche Ängste und Vorbehalte aus dem Weg zu räumen. Wir wollen dem Kunden ein gutes Gefühl geben, dass er mit Vanguard nichts verkehrt macht. Einfach, transparent und letztlich auch kostengünstig lautet die Devise, weil sich mit niedrigen Kosten auch die persönliche Rendite erhöht.
Jetzt gelten die Deutschen nicht gerade als digitalaffin. Vor allem Seniorinnen und Senioren haben gegenüber rein digitalen Angeboten oft noch Vorbehalte und wollen auf einen persönlichen Ansprechpartner nicht verzichten.
Wahrendorf: Wir haben auch hier vorgesorgt, dass man bei Vanguard jederzeit jemanden anrufen kann, der einen an die Hand nimmt und begleitet. Deshalb tue ich mich auch so schwer mit dem Begriff „Robo“, weil dieser suggeriert, dass es nur eine Maschine und einen Algorithmus dahinter gibt. Wir haben aber auch persönliche Ansprechpartner. Ganz wichtig dabei: Das ist keine Beratung im eigentlichen Sinne, sondern unsere Mitarbeiter helfen einem in der Antragstrecke, um Vanguard-Kunde zu werden, und beantworten auch Fragen rund um das Produkt. Wir können aber keine Produktempfehlung aussprechen.
Wie steuern Sie das Risiko in den Portfolios?
Wahrendorf: Wir folgen ausschließlich dem Index und betreiben passives Portfoliomanagement. Wir brauchen keinen Value at Risk, dynamische Cashquoten oder sonstige Spielereien. Wenn die Gewichtung der Anlageklassen aufgrund der jeweiligen Performance ein Rebalancing erfordert, dann erfolgt das voll automatisiert. Da gibt es keine menschlichen Komponenten dahinter. Außerdem versuchen wir, so wenig wie möglich einzugreifen, weil jeder Eingriff de facto Kosten produziert – zu Lasten des Anlegers.
Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Monate gesetzt?
Wahrendorf: Wir planen, unser Angebot zu komplettieren. Wir haben bisher einem Produkt zur Geburt verholfen – die digitale Vermögensverwaltung. Jetzt arbeiten wir mit Hochdruck am Direktvertrieb für Selbstentscheider, dem zweiten Baustein im Angebot von Vanguard Invest. Das Jahr 2022 steht bei Vanguard quasi unter der Überschrift „Bauen“. Wir werden dann 2023 mit dem Kundenfeedback unser Angebot optimieren. Wir haben viele Optionen auf der Roadmap und möchten gern datengetrieben vorgehen, um zu eruieren, was der Kunde braucht: Macht es zum Beispiel Sinn, innerhalb des Steuerfreibetrags zu optimieren, oder macht es vielleicht mehr Sinn, auf ein Rentenmodell zu gehen? Das wird letztlich der Kunde durch sein Nutzerverhalten entscheiden können.
Ist dann auch die Einführung von rein nachhaltigen Strategien bei Vanguard geplant?
Wahrendorf: Es kam ja Mifid II im August dieses Jahres und damit auch das ganze Thema ESG. Da sind wir aktuell dran und werden dementsprechend auch liefern. Wir haben bereits die Fonds und ETFs, die es braucht, um ein entsprechendes Portfolio zu bauen. Mittelfristig soll das auch in unserer digitalen Vermögensverwaltung möglich sein.
In den USA verwaltet Vanguard im Bereich Robo Advice bereits gut 200 Milliarden US-Dollar. Der Marktführer in Deutschland, Scalable Capital, kommt inklusive Brokergeschäft auf gerade mal zehn Milliarden Euro. Wie lautet Ihr Ziel für Deutschland?
Wahrendorf: Unsere Mission ist es, jedem Anleger die besten Chancen auf Anlageerfolg zu geben. Dabei geht es uns eben auch um die schon genannten edukativen Aspekte: Wir müssen die Deutschen mehr an den Kapitalmarkt bringen und somit den ehrlichen Blick auf die Wichtigkeit der Altersvorsorge lenken. Wenn wir mittel- und langfristig dabei unseren Part spielen können, haben wir ein ganz großes Ziel erreicht.
Herr Wahrendorf, besten Dank für das Interview.