


Auf einen Blick
Für die einen bricht eine Welt zusammen, für die anderen ergibt sich die Chance, selbst die ersehnte eigene Immobilie vielleicht günstiger als sonst zu erwerben. Bei einer Zwangsversteigerung können Sie jenseits der üblichen Wege ein Haus oder eine Eigentumswohnung ersteigern. Wie Sie dabei geschickt vorgehen und was Sie beachten müssen – ein Leitfaden.
Leider kommt es manchmal anders, als man denkt. Wer dauerhaft arbeitslos, schwer krank wird und nicht mehr gut verdient oder etwa bei der Anschlussfinanzierung nicht mit höheren Zinsen kalkuliert hat, hat womöglich nicht mehr genug Geld für Zins und Tilgung seines Immobilienkredits. Schlimmstenfalls ist dann die noch nicht vollständig abbezahlte Immobilie für die Eigentümerin oder den Eigentümer nicht mehr finanziell tragbar. Sie muss verkauft werden, bestenfalls lassen sich mit dem Verkaufserlös die Schulden tilgen oder sogar ein Gewinn erwirtschaften.
Nicht selten kommt es aber schlimmer: Fürchten die Gläubiger finanzielle Verluste – meist die Bank, über die die Baufinanzierung abgeschlossen wurde, manchmal aber auch Privatpersonen wie die Eltern oder Großeltern –, etwa weil der Eigentümer bereits überschuldet ist und Privatinsolvenz angemeldet hat, können sie gegen dessen Willen beim zuständigen Amtsgericht eine Zwangsversteigerung beantragen.
Das Wort drückt dabei aus, worum es geht, den „Zwang zur Versteigerung“ aufgrund einer finanziellen Notlage. Häufig geraten Immobilien aber auch unter den Hammer, weil es zu Streitigkeiten unter Immobilieneigentümern kommt. Das kann passieren, wenn sich Eheleute scheiden lassen und sich uneinig darüber sind, wer die Immobilie künftig nutzen darf. Oder eine Erbengemeinschaft kann sich nicht darauf einigen, was mit der geerbten Immobilie passieren soll. Auch dann kann einer der Erben oder Eheleute den Weg zum Gericht einschlagen, obwohl ein herkömmlicher Immobilienverkauf allen Beteiligten womöglich finanziell mehr bringen würde.
Läuft die Zinsbindung für Ihren Immobilienkredit bald aus? Dann sollten Sie sich frühzeitig mit der Anschlussfinanzierung befassen.
Die Zahl der Zwangsversteigerungen von Immobilien hat im ersten Halbjahr 2024 deutlich zugenommen. In den ersten sechs Monaten des Jahres wurden Verfahren für 6909 Immobilien mit Verkehrswerten, also den ermittelten aktuellen Marktwerten, von insgesamt 2,17 Milliarden Euro aufgerufen. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 6379 Häuser, Wohnungen und Grundstücke mit einem Gesamtverkehrswert von knapp unter zwei Milliarden Euro. Die Zahl der zwangsversteigerten Objekte ist damit um gut acht Prozent gestiegen. Das berichtet der Fachverlag Argetra, der die Termine für Zwangsversteigerungen an allen knapp 500 Amtsgerichten in Deutschland regelmäßig analysiert. Auf welche Art von Objekten sich die Zwangsversteigerungen dabei verteilen, zeigt die Grafik.
Diese Objekte kommen in Deutschland unter den Hammer
Anteil der Immobilienarten an Zwangsversteigerungen im ersten Halbjahr 2024:
Den Anstieg der Zwangsversteigerungen begründen die Fachleute von Argetra so: „Viele coronabedingte Stundungsverfahren sowie die Tatsache, dass Eigentümer mit Zahlungsschwierigkeiten ihre Immobilien auf dem Markt offenbar veräußern, bevor Banken oder Sparkassen die Zwangsversteigerung beantragen mussten, verhinderten lange einen stärkeren Anstieg der Zwangsversteigerungen.“ Dies scheint sich nun zu ändern, mögliche Gründe dafür sind:
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Biallo-Tipp: Sollten Sie selbst mit Ihrer Immobilie in die finanzielle Bredouille geraten, oder ist dies mittelfristig abzusehen, sollten Sie möglichst frühzeitig mit der finanzierenden Bank reden, mögliche Lösungen ausloten und nicht einfach die Zahlung der Kreditraten einstellen. Die Banken haben in der Regel ein Interesse daran, Zwangsversteigerungen zu vermeiden, so ein Verfahren kostet sie auch Geld und ist aufwendig.
Viele Mieterinnen und Mieter träumen davon, endlich in der eigenen Immobilie leben zu können. Die große Nachfrage trifft allerdings gerade in den gefragten Groß- und Universitätsstädten auf ein eher knappes Angebot. Weil auf dem normalen Markt trotz des Preisrutsches in den vergangenen zwei Jahren die Preise oft immer noch hoch und für viele unerschwinglich sind, kann es deshalb interessant sein, einen Blick auf Objekte aus Zwangsversteigerungen zu werfen. Ein Grund: Was unter den Hammer kommt, erscheint zumindest nicht so teuer. Laut der Argetra-Statistik lag der Verkehrswert der aufgerufenen Objekte im Bundesdurchschnitt bei etwa 314.000 Euro – allerdings bei beträchtlichen regionalen Unterschieden: In Hamburg wurden die höchsten Verkehrswerte mit durchschnittlich über 1.064.000 Euro je Immobilie aufgerufen, gefolgt von Berlin mit 1.005.000 Euro. Sachsen-Anhalt bildet das Schlusslicht mit Durchschnittswerten von gerade einmal 98.000 Euro. Deutlich höhere Kaufpreise von durchschnittlich weit über 400.000 Euro werden über die einschlägigen Kreditvermittlerportale finanziert. Nur, der weit geringere Durchschnittswert von rund 314.000 bei den Versteigerungsobjekten sagt noch nichts darüber aus, ob die Ersteigerer mit solchen Preisen das erhoffte „Schnäppchen“ machen.
Die Chancen, eine Immobilie günstig zu bekommen, dürften sich zuletzt aber verbessert haben: Werner Siepe, Finanzmathematiker und Fachbuchautor („Erfolgreiches Ersteigern von Haus oder Wohnung, Leitfaden für Bieterinteressenten“), hat bei etlichen Zwangsversteigerungen mitgeboten und so die eine oder andere Immobilie erworben. Er sagt: „Mit dem Immobilienboom in Deutschland waren die Zeiten, als man wirklich günstig Wohnungen oder Häuser deutlich unter dem Marktwert ersteigern konnte, vorbei.“ Häufig zahlten die Bieter bei Zwangsversteigerungen Preise über dem Verkehrswert, also dem aktuellen Marktwert. Das lag vor allem daran, dass es mehr Nachfrage als Angebote gab. Das hat sich nicht geändert, doch da Notverkäufe zugenommen und die Immobilienpreise vorübergehend gesunken sind, kann es sich wieder eher lohnen, mitzusteigern. Was noch dafür spricht:
Im Internet kursieren immer wieder Pauschalaussagen, dass man bei Zwangsversteigerungen Immobilien 30 Prozent günstiger als sonst bekommen könne. Das kann sicherlich in Einzelfällen passieren, dürfte aber inzwischen eher die Ausnahme sein.
Man bietet und ersteigert eine Immobilie so, wie sie im Gutachten und Grundbuch beschrieben wird. Hat der Noch-Eigentümer dem Gutachter jedoch eine Innenbesichtigung der Immobilie verwehrt, steigt natürlich das Risiko. Käufer können nicht im Nachhinein Baumängel, Schäden im Dach oder Schimmel in der Wohnung beanstanden, die sogenannte Gewährleistung entfällt.
Ist die Immobilie vermietet, übernimmt der Erwerber oder die Erwerberin die im Mietvertrag festgelegten Rechte und Pflichten – mit dem Risiko, sich Mieter ins Haus zu holen, die vielleicht irgendwann nicht zahlen, ständig nörgeln oder sich beschweren oder nur gegen Zahlung einer hohen Prämie ausziehen. Manchmal wechselt die Immobilie auch unbesehen die Eigentümer, wenn der Gutachter nicht ins Haus oder die Wohnung gekommen ist. „Eigentümer versuchen oft alles, um die Zwangsversteigerung ihres Eigenheims zu verhindern. Insofern ist es nachvollziehbar, wenn sie niemanden reinlassen“, sagt Siepe.
Die Landesjustizverwaltungen haben eine Internetplattform für Zwangsversteigerungen eingerichtet: www.zvg-portal.de. Dort können Interessenten nach Terminen suchen und dabei vorher ein Amtsgericht auswählen. Ob Reihenhaus, Doppelhaushälfte oder Einfamilienhaus – auch hier ist eine Vorauswahl möglich. Der Service ist kostenlos. Auch unter www.zwangsversteigerung.de finden Sie die Termine und Objektbeschreibungen. Informieren können Sie sich über öffentliche Aushänge beim Amtsgericht, Veröffentlichungen im jeweiligen Amtsblatt oder über den kostenpflichtigen Versteigerungskalender der Ratinger Argetra GmbH.
Sie müssen bei der vom Amtsgericht angegebenen Gerichtskasse eine Sicherheitsleistung von zehn Prozent des vom Gutachter festgestellten Verkehrswertes hinterlegen, in der Regel wird das Geld überwiesen. Sie müssen als Bieter oder Bieterin volljährig sein und sich vorher bei Gericht anmelden beziehungsweise sich mit Ihrem Personalausweis registrieren lassen.
Haben Sie ein für Sie interessantes Objekt gefunden, sollten Sie sich ausführlich über die Immobilie informieren. Dabei ist zu beachten:
Sie merken sich idealerweise das Aktenzeichen für die aufgerufene Immobilie. Mit diesem gehen Sie zum Rechtspfleger beim Amtsgericht, der im Idealfall die Versteigerungsakte bereithält. In diese können Sie beim Amtsgericht Einsicht nehmen.
Die Fallakte sollte diese Bestandteile enthalten:
Der Akte lässt sich auch entnehmen, ob der bisherige Eigentümer einen Gutachter ins Haus oder die Wohnung gelassen hat. Dieser vergleicht dann die Objektbeschreibung mit der Innen- und Außenausstattung der Immobilie. Das ist wichtig bei der Einschätzung des Verkehrswerts. Denn wenn der Gutachter oder die Gutachterin die Immobilie nicht besichtigen konnte, ist auf den Verkehrswert nicht immer Verlass. Ohnehin können die geschätzten Werte je nach Gutachter auch unterschiedlich ausfallen und von den tatsächlichen Marktwerten vergleichbarer Immobilien durchaus abweichen, auch weil zwischen Gutachtertermin und Versteigerung manchmal Jahre liegen.
Biallo-Tipp: Liegt der Gutachtertermin lange zurück, sollten Sie aufpassen. Denn ein jahrelanges Verfahren vor Gericht kann immer auch heißen, dass sich der Zustand der Immobilie womöglich deutlich verschlechtert hat.
Experte Siepe rät, sich die Immobilie auf jeden Fall vorher anzuschauen. Ansprechpartner für Besichtigungen sind die Gläubiger, da diese ein Interesse daran haben, dass das Objekt bestmöglich versteigert wird. Wenn Sie sich mit bautechnischen Mängeln nicht auskennen, sollten Sie einen Architekten oder Bauingenieur oder befreundeten Fachmann oder eine Fachfrau mitnehmen und sich helfen lassen. Es kann sein, dass es vor der Versteigerung mehrere Besichtigungstermine gibt. Es kann aber auch sein, dass eine Besichtigung schwierig wird, etwa weil die Schuldner noch darin leben und den Zugang verweigern oder das Objekt von einem Mieter bewohnt wird, der das ebenfalls nicht will.
Biallo-Tipp: Die Adresse des Objekts steht im Gutachten. Sie können ja mal gucken und klingeln und vielleicht werden Sie auch reingelassen. Klappt das nicht, haben Sie das Objekt zumindest von außen gesehen. Experte Siepe empfiehlt, notfalls bei den Nachbarn zu klingeln und sich nach dem Zustand der Immobilie zu erkundigen. Ist in dem Objekt, das versteigert wird, gerade niemand zu Hause, könnte man auch einen Zettel in den Briefkasten werfen, mit dem Hinweis: „Ich bin am Kauf der Immobilie interessiert und würde gerne Kontakt mit Ihnen aufnehmen.“ Auch Mieter könnten „ja durchaus daran interessiert sein, ihren künftigen Vermieter kennenzulernen“, sagt Siepe.
Sie sollten auf jeden Fall vorher mit Ihrer Bank reden und Sie über Ihr Vorhaben informieren. Dabei loten Sie am besten schon einmal aus, ob eine Finanzierung des in Aussicht stehenden Objekts möglich ist, und wenn ja zu welchen Konditionen und bis zu welcher Kreditsumme. Dadurch ist sichergestellt, dass Sie bei einer für Sie erfolgreichen Ersteigerung der Immobilie Ihr Gebot auch kurzfristig zahlen können, sofern Sie nicht ohnehin über die erforderlichen Eigenmittel in ausreichender Höhe verfügen. Doch Vorsicht: Da die endgültige Höhe erst feststeht, wenn der Zuschlag erteilt ist, dürfte es eher schwierig werden, vorab eine feste Finanzierungszusage einer Bank zu bekommen. Hinzu kommt: Die Bank dürfte bei der Berechnung der Zinskonditionen, die ja von der Höhe der Beleihung abhängen, nicht vom Verkehrswert laut Gutachten ausgehen, sondern von der tatsächlichen Höhe Ihres Gebots, mit dem Sie zum Zug gekommen sind.
Der Ablauf und das Bieterverfahren sind geregelt: Das Amtsgericht setzt einen Termin für die Versteigerung fest, dieser wird öffentlich bekanntgemacht. Kommt es dann tatsächlich zu der Versteigerung, gibt der Rechtspfleger oder die Rechtspflegerin des Amtsgerichts zunächst den wesentlichen Inhalt des Grundbuchs wieder, nennt die Gläubiger mit ihren Ansprüchen und den festgelegten Verkehrswert und weist auf Besonderheiten der Immobilie hin wie etwa, dass noch Mieter in der Immobilie wohnen. Danach nennt er das Mindestgebot, das sich am Verkehrswert orientiert und fordert die Teilnehmer zu Geboten auf. Man spricht dann von der Bieterstunde, die in der Regel mindestens 30 Minuten dauert. Die Bieter können dann in bestimmten Geldbetrags-Schritten – etwa 200, 1000 oder 2500 Euro – jeweils einen höheren Betrag bieten. Die genauen Sprünge legt der Rechtspfleger fest. Angaben dazu bieten vorab veröffentlichte Unterlagen. Der oder die Höchstbietende erhält den Zuschlag mit dem dritten Hammerschlag des Rechtspflegers, der anschließend verkündet, dass die Immobilie an den neuen Eigentümer übertragen worden ist. Voraussetzung: Der erzielte Verkaufserlös liegt über den einschlägigen Untergrenzen für die Versteigerung. Dabei gilt die 5/10- beziehungsweise 7/10-Regelung: Beim ersten Versteigerungstermin erhält das letzte Gebot keinen Zuschlag, wenn nicht die Summe mindestens 50 Prozent des geschätzten Verkehrswerts der Immobilie erreicht wurde. Außerdem kann der Verkäufer eine Versteigerung bis zu 70 Prozent des Verkehrswerts ablehnen. Überschreitet kein Bietinteressent die 70-Prozent-Grenze, gibt es dann einen zweiten Termin vor Gericht. Beim zweiten Termin muss aber die 50-Prozent-Grenze nicht mehr eingehalten werden.
Biallo-Tipp: Fragen Sie beim Amtsgericht ein bis zwei Tage vor dem Versteigerungstermin nach, ob der Termin wirklich stattfindet. Manchmal finden Gläubiger und Schuldner noch fünf vor zwölf eine andere Lösung, um die Zwangsversteigerung zu verhindern.
Experte Siepe rät: auf keinen Fall in einen Bieterrausch verfallen. Er empfiehlt, sich vorher ein Limit als absolute Obergrenze zu setzen und sich daran auch zu halten. Dabei kann es helfen, eine ungerade Zahl zu nehmen, zum Beispiel 353 000 Euro, weil andere bei geraden Zahlen wie 350 000 Euro aufhören. Hilfreich kann auch sein, nicht immer in gleichen Schritten zu bieten, sondern beispielsweise mal in 1000-Euro-Schritten, dann in 3000-Euro-Schritten, so ist es schwerer für Mitbieter Ihre Schmerzgrenze zu erkennen. Sie können auch einen unbeteiligten Freund oder eine Freundin mitnehmen, die Sie bei der Zwangsversteigerung notfalls davor bewahrt, unbedachte finanzielle Entscheidungen zu treffen.