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Es sind Zahlen, die nichts Gutes verheißen. Bei 7,3 Prozent lag die Inflation in Deutschland im März. Das ist der höchste Wert seit 1981. Gleichzeitig senkte der Sachverständigenrat, der die Bundesregierung in wirtschaftlichen Fragen berät, seine Wachstumsprognose für 2022 von 4,6 auf 1,8 Prozent. Grund für beide Entwicklungen sind die rasant gestiegenen Energiepreise: Öl und Gas waren bereits zu Jahresanfang teuer. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die beiden Energieträger noch einmal deutlich verteuert. Das heizt die Inflation an – und bremst die Wirtschaft aus, weil teure Energie die Produktion verteuert.
Hohe Preise, schwache Wirtschaft: Wegen dieser gefährlichen Kombination befürchten viele Experten, dass der deutschen und der europäischen Wirtschaft eine sogenannte Stagflation droht – so wie es sie während der Ölkrise in den 70er Jahren gab. Doch was genau ist Stagflation und was bedeutet sie für Unternehmen, Verbraucher und Anleger? Biallo.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was ist Stagflation?
Das Wort Stagflation ist eine Kombination aus den beiden Begriffen Stagnation und Inflation. Es beschreibt eine Situation, in der die Preise deutlich steigen (Inflation) und die Wirtschaft gleichzeitig nicht wächst (Stagnation) – oder sogar schrumpft. Längerfristig kommt es dabei auch zu Entlassungen und steigender Arbeitslosigkeit.
In den westlichen Industrieländern gab es das etwa in den 70er Jahren. Damals löste die Ölkrise – also die extreme Verteuerung von Rohöl aus dem Nahen Osten – in vielen Staaten eine Stagflation aus. In den Jahren 1973 bis 1975 lag die Inflationsrate in der damaligen Bundesrepublik mit Werten zwischen sechs und sieben Prozent auf ähnlichem Niveau wie zurzeit. Gleichzeitig ging das Wachstum in diesem Zeitraum um mehr als die Hälfte zurück, die Arbeitslosenquote vervierfachte sich.
Welche Faktoren können zu einer Stagflation führen?
Auslöser einer Stagflation ist in der Regel ein Angebotsschock. Das bedeutet: Das Angebot eines oder mehrerer, für die Wirtschaft wichtiger Produkte, verknappt sich plötzlich. Häufig sind es Energierohstoffe wie Öl oder Gas. In den 70er Jahren führte der Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und einigen arabischen Staaten zu einem Rückgang der Öllieferungen aus dem Nahen Osten.
Durch die Verknappung werden die Preise für die Energierohstoffe teurer. Weil Energie jedoch ein wichtiger Einsatzfaktor für die gesamte Wirtschaft ist, müssen auch die Hersteller weiterer Produkte die Preise erhöhen. Das verstärkt die Inflation. Um die Teuerung auszugleichen, fordern Arbeitnehmer und Gewerkschaften höhere Löhne. Das treibt die Kosten für die Firmen weiter in die Höhe. Ihr Spielraum für Investitionen sinkt, für einige Produkte lohnt sich die Herstellung nicht mehr – die Produktion geht zurück. Gleichzeitig schränken Verbraucherinnen und Verbraucher wegen der hohen Preise ihren Konsum ein. Die Folge: Bei hohen Preissteigerungen stagniert oder schrumpft die Wirtschaft. Es herrscht Stagflation.
Mit welchen Maßnahmen kann eine Stagflation verhindert werden?
Da gehen die Meinungen der Ökonomen auseinander. Da eine Stagflation durch einen Angebotsschock ausgelöst wird, liegt es für einige Experten nahe, an der Angebotsseite der Wirtschaft anzusetzen, also bei den Unternehmen. Die Idee: Eine Entlastung der Firmen – etwa durch Steuererleichterungen – mindert den Kostendruck. Dadurch können sie auf größere Preiserhöhungen verzichten. So lässt sich die zuvor beschriebene „Lohn-Preis-Spirale“ verhindern. Die Stagflationsgefahr wäre gebannt – vorausgesetzt, die Entlastungen reichen aus, um die Firmen von Preiserhöhungen abzuhalten.
Andere Experten plädieren dafür, eine drohende Stagflation frühzeitig mit steigenden Zinsen zu bekämpfen. Eine Erhöhung der Leitzinsen durch die Notenbanken ist das gängige Mittel, um die Teuerung in den Griff zu bekommen. Das Problem: Steigen die Zinsen, schränken die Verbraucher ihren Konsum ein und sparen mehr. Gleichzeitig verteuern sich Kredite für Unternehmen. Investitionen werden schwieriger. Beides bremst die Wirtschaft in einer Phase, in der sie ohnehin schon schwächelt. Auch deshalb hat die derzeitige Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, zuletzt klar gemacht, dass die Notenbank die Leitzinsen zunächst nicht erhöhen wird.
Wie wahrscheinlich ist eine Stagflation 2022?
Noch gehen die meisten Ökonomen nicht davon aus, dass die deutsche und die europäische Wirtschaft in eine Stagflation rutschen. Das Risiko besteht aber. Immerhin muss die Wirtschaft derzeit gleich mit zwei Angebotsschocks fertig werden. Zum einen hat der Ukraine-Krieg die Energiepreise extrem in die Höhe getrieben. Zum anderen sind wegen der Corona-Krise noch immer viele Lieferketten gestört, die für die Produktion wichtig sind. Vorprodukte und Einsatzstoffe sind deshalb knapp. Das hat die Inflation schon vor dem Ukraine-Krieg angeheizt.
Verstärkt sich eine dieser Entwicklungen, kann die Lage kippen. Ein kurzfristiger Stopp der russischen Gaslieferungen etwa oder auch eine erneute Verschärfung der Corona-Pandemie könnten die Wirtschaft tatsächlich in eine Stagflation führen. Entscheidend dürfte letztlich sein, wie sich die Energiepreise entwickeln. Kommt es an den Energiemärkten zu einer Entspannung, wird auch die Gefahr einer Stagflation geringer. Umso wichtiger ist es daher für die EU-Staaten, die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland möglichst schnell zu verringern.
Stagflation – Was bedeutet das für Ihre Geldanlagen?
Eine Stagflation ist auch für Anleger und Anlegerinnen eine schwierige Situation. Wenn Sie auf Zinsprodukte wie Tages- oder Festgeld setzen, müssen Sie mit der Unsicherheit leben, dass die Notenbank eventuell doch die Zinsen erhöht, um die Inflation zu bekämpfen. Es ist daher ratsam, sich bei der Anlage etwa in Festgeld nicht zu lange zu binden. Biallo.de rät derzeit dazu, das Kapital nicht länger als zwei Jahre in Festgeld anzulegen. Wenn Sie flexibel bleiben möchten, können Sie verschiedene Laufzeiten wählen – also etwa sechs Monate, ein Jahr und zwei Jahre. Dann werden Anlagebeträge regelmäßig frei, die Sie neu anlegen können. So nehmen Sie einen möglichen Zinsanstieg mit.
Auch als Aktienanleger stehen Sie bei Stagflation vor einer besonderen Situation. Generell sind Aktien bei Inflation eine gute Wahl: Die Anteilsscheine sind Sachwerte, denn Sie beteiligen sich damit an einem Unternehmen, an dessen Produktionsanlagen und der Belegschaft. Das schützt normalerweise gut vor der Teuerung. Ist das wirtschaftliche Wachstum jedoch schwach oder sogar negativ, drückt das auf die Gewinne der Firmen – und diese sind entscheidend für die Höhe des Aktienkurses.
Am ehesten behaupten können sich in einer solchen Situation Firmen, die trotz schwacher Nachfrage Preissteigerungen bei den Konsumenten durchsetzen können. Experten empfehlen daher, auf Unternehmen mit „Preissetzungsmacht“ und soliden Bilanzen zu setzen. Um das Risiko dabei zu streuen, empfiehlt sich ein börsennotierter Indexfonds (ETF) mit solchen Qualitätsaktien. So investiert etwa der Xtrackers MSCI World Consumer Discretionary in rund 170 Aktien weltweiter Markenunternehmen wie McDonald’s, Nike, Sony oder Starbucks. Der iShares Dow Jones Global Titans enthält die 50 größten börsennotierten Firmen der Welt. Die beiden ETFs können in der jetzigen Phase eine gute Ergänzung für das Depot sein – als Zusatz zu ihrem Basisinvestment.
Generell jedoch sollten ETF-Anleger, die als Basis für ihr Portfolio einen weltweiten Aktien-ETF wie den MSCI World besitzen, auch in schwierigen Phasen wie einer Stagflation dabei bleiben. Wegen der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas droht eine Stagflation derzeit am ehesten den europäischen Volkswirtschaften. Weltweit dürften die Auswirkungen weniger stark sein. Eine weltweite Streuung der Aktienanlage auf 1.500 oder gar 3.000 Firmen – etwa mit einem ETF auf den weltweiten Index MSCI World oder den noch breiter aufgestellten MSCI All Country World – ist daher auch bei einer Stagflation eine gute Wahl.