Sie gelten als die Instrumente der Profis, Privatanleger haben dagegen oftmals nur eingeschränkten Zugriff auf sie: Die Rede ist von Derivaten. Was sie spekulativ, unabdingbar und vor allem umstritten macht, klären wir in diesem Ratgeber.
Was sind Derivate?
Die Begriffserklärung, allein der ungewöhnliche Name, bedarf einer kurzen Aufklärung. Das Wort Derivat stammt vom lateinischen „derivare“ ab, was auf Deutsch „ableiten“ heißt. Ein Derivat ist allgemein gesprochen ein Finanzprodukt, dessen Preis beziehungsweise Wert stets von anderen Basiswerten wie Wertpapieren, Rohstoffen oder Währungen abhängig ist, eben „abgeleitet“ wird.
Derivate können zum Beispiel von Kurs- oder Zinsänderungen abgeleitet werden. Wer Derivate kauft, muss immer die Entwicklung der dazugehörigen Aktie, Anleihe oder des sonstigen Basisproduktes im Auge behalten. Im Gegenzug ist es hier schließlich möglich, auch mit sinkenden Kursen Geld zu verdienen.
Welche Arten von Derivaten gibt es?
Bis hierher erst einmal der theoretische Überblick. Wie sieht es aber in der Praxis aus? Welche konkreten Formen von Derivaten gibt es dort? Im Folgenden stellen wir die verschiedenen Gattungen von Derivaten vor.
Optionen
Umgangssprachlich sind sie auch als Termingeschäfte bekannt. Der Begriff ist bei genauerem Hinsehen sinnvoll. Bei einer Option erwirbt man nämlich das Recht, einen bestimmten Basiswert, wie zum Beispiel eine Aktie, zu einem vorher genau festgelegten Zeitpunkt und eindeutigen Preis von einer Gegenpartei (Stillhalter) zu erwerben (Call-Option) oder an diese zu verkaufen (Put-Option).
Wichtig anzumerken ist, dass mit einer Option lediglich ein Recht, nicht aber eine Pflicht einhergeht. Sollte sich der Basiswert also nicht wie gewünscht entwickeln, kann der Optionsinhaber auch sein Ausübungsrecht verfallen lassen und muss den Basiswert nicht kaufen oder verkaufen. Der Stillhalter allerdings ist verpflichtet, bei einer Call-Option den Basiswert zum vereinbarten Preis zu liefern oder im Fall einer Put-Option den Basiswert zu kaufen, wenn der Optionsnehmer von seinem Ausübungsrecht Gebrauch macht. Für sein „Stillhalten“ erhält er eine Optionsprämie.
Optionsscheine
Nicht nur der Name ist ähnlich, auch die Features weisen im Vergleich zu den eben vorgestellten Optionen Gemeinsamkeiten auf. Dennoch ist eine Unterscheidung grundlegend: Optionsscheine werden von Banken emittiert, besitzen eine Wertpapierkennnummer (WKN) oder ISIN und der Handel erfolgt meist „Over the Counter“ (OTC), also im außerbörslichen Handel. Im Gegensatz dazu werden Optionen ausschließlich an regulären Terminbörsen gehandelt, was höchste Transparenz garantiert. Die Möglichkeit des „Stillhaltens“ gibt es bei Optionsscheinen nicht.
Auch bei Optionsscheinen gibt es Call- und Put-Varianten. Da die Produkte allerdings von Banken herausgegeben werden und es sich um Schuldverschreibungen handelt, unterliegen sie einem sogenannten Emittentenrisiko. Das bedeutet: Geht der Herausgeber des Optionsscheins pleite, erleiden Sie einen Totalverlust.
Futures
Die Grundfunktion von sogenannten Futures ist mit der von Optionen vergleichbar. Einen entscheidenden Unterschied gibt es aber: Der Kauf eines Futures geht mit einer Pflicht einher. Die Abnahme des Basiswertes oder – bei einem Put – der Verkauf zum vereinbarten Zeitpunkt und zum abgemachten Preis sind für beide Parteien nicht mehr rückgängig zu machen. Das gilt demnach auch dann, wenn sich die Aktie, die Anleihe oder das sonstige Wertpapier entgegen den eigenen Vorstellungen entwickelt. Die einzige Möglichkeit, die Verluste einzudämmen, besteht in der Neutralisierung der Position, indem er ein entsprechendes Gegengeschäft tätigt. Fachsprachlich ist hier vom Glattstellen der Position die Rede. Futures sind übrigens auf eine ganze Palette von Finanzprodukten anwendbar, darunter etwa Rohstoffe oder ganze Indizes.
Zu einer sogenannten Nachschusspflicht kommt es, wenn sich die Kurse entgegen der beabsichtigten Richtung entwickeln. In einem solchen Fall kann es sein, dass der Anleger Geld sprichwörtlich nachschießen muss und somit mehr als das eingesetzte Kapital verlieren kann. Im Jahr 2017 entschloss sich die Bafin allerdings dazu, eine solche Nachschusspflicht zumindest bei Differenzkontrakten (CFDs) für Privatinvestoren zu verbieten. Die Bafin plant, das Verbot auf Futures auszuweiten.
Zertifikate
Es gibt sie quasi in allerlei Variationen, jedes davon mit eigenen Spezifikationen. Gemeint sind Zertifikate. Dabei handelt es sich um von Banken ausgegebene Schuldverschreibungen, die damit einen Emittenten aufweisen, ähnlich wie bei Optionsscheinen. Interessenten von Zertifikaten sollten sich daher über den jeweiligen Emittenten informieren und das jeweilige Wertpapier-Verkaufsprospekt genau durchlesen, um etwaige Risiken auszuschließen.
Wie bei den oben erwähnten Produkten, stehen auch Zertifikate im Zusammenhang mit einem Basiswert. Ein Beispiel für die eingangs erwähnte Vielfalt von Zertifikaten stellen sicherlich die ETCs dar. Damit wird Anlegern ermöglicht, in unterschiedliche Rohstoffe zu investieren.
Differenzkontrakte
Manchem dürften sie auch unter dem Namen CFDs, also Contracts for Difference, geläufig sein. Bei Differenzkontrakten wettet der Investor quasi gegen seine Bank beziehungsweise gegen den Emittenten des Produktes. Geht der Anleger etwa von einem fallenden Aktienkurs aus und tritt dies nach Abschluss des Vertrags tatsächlich ein, ist der Broker in der Pflicht, die Differenz zum Ausgangskurs an den Anleger auszuzahlen.
Wer CFDs kaufen möchte, wird bei klassischen Online-Banken meist nicht fündig werden. Gehandelt wird ausschließlich außerbörslich und bei spezialisierten CFD-Brokern.
Swaps
Bei all den bisher genannten Derivaten sind Tauschgeschäfte, auch bekannt als Swaps, nicht zu vergessen. Ihre Funktionsweise ist allerdings nicht immer einfach. Man kann jedoch sagen, dass sich hier zwei verschiedene Vertragsparteien auf den Austausch von Zahlungsströmen über einen bestimmten Zeitraum einigen. Unter diese Zahlungsströme können unter anderem Zinssätze fallen. Heruntergebrochen lässt sich auch für Swaps sagen, dass die Wette auf Preissteigerungen oder Preissenkungen im Vordergrund steht. Auch bei synthetischen ETFs kommen Swaps zum Einsatz.
Wie kann ein Privatanleger von Derivaten profitieren?
Grundsätzlich sollten Derivate nur von Personen gehandelt werden, die sich mit den unterschiedlichsten Finanzprodukten sowie der Wirkungsweise des dynamischen Marktes bereits gut bis sehr gut auskennen. Für unerfahrene Investoren stehen Chance und Risiko von Derivaten in aller Regel in keinem guten Verhältnis.
Wer jedoch über einen breiten Erfahrungsschatz verfügt und den Einsatz von Swaps, CFDs und Co nicht missen möchte, hat eine Vielzahl von Investitionsmöglichkeiten. So sind Derivate nicht nur mit Wertpapieren wie Aktien und Anleihen oder Indizes kompatibel, sondern können darüber hinaus die unterschiedlichsten Devisen oder Handelsgüter wie Weizen und Kaffee zum Basiswert haben.
Welchen Zweck haben Derivate überhaupt?
Für den Großteil der Anlegerinnen und Anleger dürften Derivate der Inbegriff für Spekulationen schlechthin sein. Und in der Tat geht es hier vor allem um Wetten, bei denen es oftmals nur Richtig oder Falsch gibt. Entsprechend hoch ist auch das Risiko. Doch sachlich betrachtet haben Derivate noch deutlich mehr zu bieten und damit auch ihre Daseinsberechtigung im globalen Finanzsystem. Grundsätzlich sollte man zwischen zwei Hauptfunktionen unterscheiden.
Nahe liegt natürlich der Zweck der eben erwähnten Spekulation. Derivate lassen sich mit sogenannten Hebeln ausstatten, wodurch Wertschwankungen wiederum vervielfacht werden können – in beide Richtungen. Kauft man etwa eine Aktie und setzt dabei auf steigende Kurse, würde ein Hebel den potenziellen Gewinn multiplizieren. Auf diese Art und Weise kann man aber schnell auch in horrende Verluste gelangen. Besondere Vorsicht ist beim Umgang mit Hebeln also definitiv gegeben.
Wichtig ist zudem die Unterscheidung zwischen sogenannten Long- und Short-Positionen. Bei ersterer wird auf steigende Preise, bei letzterer entsprechend auf fallende Kurse gewettet. Selbstverständlich zahlt man für den Einsatz von Hebeln und den damit potenziell einhergehenden Gewinnchancen eine spezielle Gebühr und muss darüber hinaus Sicherheiten hinterlegen wie etwa eine Margin bei Futures.
Derivate als Absicherung
Was sich zunächst völlig kontraintuitiv anhören mag, entspricht dennoch der Wahrheit: Derivate werden nicht selten aus Sicherheitsgründen eingesetzt. Nicht wenige Finanzprofis nutzen Derivate, um sich beispielsweise gegen unvorhersehbare Kursschwankungen oder Preisanstiege abzusichern. Man spricht deshalb auch vom sogenannten Hedging.
Nicht nur die Investmentbranche bedient sich übrigens dieser komplexen Instrumente. Teilweise greifen sogar Industrie- und Handelsunternehmen auf sie zurück, beispielsweise um sich bestimmte Preise bei wichtigen Gütern oder Rohstoffen zu sichern und somit auf eine gewisse Planungssicherheit vertrauen zu können. Ausgeführt werden diese Geschäfte meist außerbörslich, man spricht hier auch von den Over-the-Counter-Märkten (OTC).
Manche Derivate werden sogar unbewusst im Alltag verwendet. Man denke einmal an Reisebuchungen. Viele Urlauber sichern sich ihr Flugticket zu einem festen Preis schon im Winter für den anstehenden Sommer. Steigen die Kosten anschließend, kann man sich freuen, dass die Ferien dank des vorausschauenden Handelns verhältnismäßig günstig sind. Natürlich geht es bei diesem Exempel nicht darum, einen Profit zu erzielen. Vielmehr wird aufgezeigt, wie Hedging zu Sicherheitsmaßnahmen herangezogen werden kann.
Selbstverständlich werden Hedging-Instrumente bewusst und auch im professionellen Umfeld eingesetzt. Das ist zum Beispiel bei Devisengeschäften der Fall. Ein Unternehmen kann viel mit Partnern in deren Landeswährung handeln. Würde dann eine von beiden Währungen signifikant an Wert verlieren, schützen Derivate vor drohenden Umsatz- oder Gewinnrückgängen. Die Bedeutung solcher Finanzprodukte ist vorwiegend in großen Konzernen, die oftmals mit vielen unterschiedlichen Devisen zu tun haben, nicht mehr wegzudenken. Es gibt aber auch das Währungshedging bei ETFs.
Was gibt es sonst zu beachten?
Die Unterscheidung zwischen bedingten und unbedingten Termingeschäften ist unerlässlich. Worin die jeweiligen Spezifikationen liegen, soll im Folgenden kurz und prägnant geklärt werden.
Unbedingte Termingeschäfte
Oftmals werden die unbedingten Termingeschäfte über Futures oder Swaps realisiert. Dabei sind die abgeschlossenen Verträge bindend, keine der beiden Parteien kann also zurücktreten, egal wie unvorteilhaft sich eine Wette auch entwickeln mag.
Bedingte Termingeschäfte
Es lässt sich bereits erahnen. Im Gegensatz zu ihrem Pendant haben die Inhaber eines Derivates die Option, nicht aber die Pflicht zur tatsächlichen Ausführung einer Leistung. Wenn hier schon Wahlfreiheit besteht, wäre es geradezu töricht, auf unbedingte Termingeschäfte zurückzugreifen, nicht wahr? Wie bereits vermutet gibt es hier natürlich einen kleinen Haken, der sich Optionsprämie nennt. Für die Flexibilität wird also eine Gebühr fällig.
Was sollte bei Derivaten definitiv nicht außer Acht gelassen werden?
Von Derivaten zu sprechen, ohne von den drohenden Gefahren zu berichten, wäre nicht fair. Nicht umsonst werden diese Instrumente – trotz ihrer offensichtlichen Daseinsberechtigung – oftmals als Spekulationsobjekte abgetan. Das rührt tatsächlich nicht von ungefähr. Welche Risiken beim Umgang mit Derivaten in jedem Fall berücksichtigt werden müssen, soll nun geklärt werden.
Auf die Konditionen achten
Kaum ein Derivat ist wie das andere. Deshalb kann nur die Wichtigkeit der genauen Prüfung sämtlicher Konditionen im Voraus betont werden. Dazu gehört insbesondere die Kontrolle, in welchem Umfang man an Gewinnen oder auch Verlusten partizipieren würde. Nicht zu vergessen ist auch die teils zu entrichtende Margin, die dem Broker als eine Art Sicherheit dient. Interessant zu wissen wäre vor dem Abschluss eines entsprechenden Vertrages natürlich auch, ob bei Transaktionen eine Nachschusspflicht fällig würde.
Die Kosten im Auge behalten
Schon vermeintlich einfache Finanzprodukte sind häufig unübersichtlich, wenn es um die konkreten Kostenstrukturen geht. Natürlich sind die Emittenten von Derivaten stets am eigenen Profit interessiert. Deshalb ist es als Verbraucher unabdingbar, sich intensiv mit den lauernden Gebühren auseinanderzusetzen und im Zweifel einen Experten zurate zu ziehen.
Totalverluste nicht auszuschließen
Klar, wer verhältnismäßig gute Chancen auf hohe Gewinne haben möchte, muss auch entsprechend hohe Risiken eingehen. Im schlimmsten Fall droht beim Umgang mit derivativen Finanzinstrumenten aber die Totalpleite. Übrigens sind die Verluste hier nicht durch eine Obergrenze festgelegt, sondern können bei einer Nachschusspflicht theoretisch bis ins Unendliche gehen. Anlegerinnen und Anleger können hier im wahrsten Sinne Haus und Hof verlieren. Besondere Vorsicht ist also definitiv geboten.
Wichtigkeit des Emittenten
Wer unmittelbar von der Finanzkrise 2008/2009 betroffen war, wird diesen Punkt wohl besonders gut nachvollziehen können. Damals fanden sich Anleger mit zum Teil riesigen Verlusten wieder, als die US-Investmentbank Lehman Brothers Konkurs ging und damit auch die zuvor ausgegebenen Zertifikate wertlos wurden. Vor dem Kauf solcher Wertpapiere sollte daher stets die Bonität des dahinter agierenden Emittenten geprüft werden.
Gibt es auch Kritik an Derivaten?
Die Vorwürfe in Bezug auf Futures, Swaps und Co sind quasi nicht zu überhören. Vor allem eines sorgt für Ärger: Da unter anderem auf wichtige Rohstoffe wie Weizen gewettet wird, kann es hier unter Umständen zu signifikanten Preissteigerungen kommen. Viele Menschen wiederum sind allerdings auf Weizen als Nahrungsmittel angewiesen und können sich dieses eines Tages nicht mehr leisten.
Die Finanzindustrie hat sich diesem offensichtlichen Problem bislang jedoch nicht wirklich gestellt. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass der weltweite Derivatemarkt mittlerweile ein Volumen von rund 600 Billionen Euro aufweist und seine Bedeutung für die Weltwirtschaft somit nicht zu leugnen ist.
Fazit
Derivate sind umstritten und trotzdem ein notwendiges Werkzeug der Finanzbranche. Ohne sie wäre es schlecht bis gar nicht möglich, gewisse Stabilitäten in Geschäftsmodelle zu integrieren. Auf der anderen Seite würden sich die Wogen wohl etwas glätten, wenn nicht auch mit Lebensmitteln spekuliert werden würde. Für ungeübte Anlegerinnen und Anleger sind Derivate aufgrund des hohen Risikos nicht zu empfehlen.