Gemeinschaftlich leben
Damit kommen wir auch schon zum wichtigsten Aspekt des Mehrgenerationenwohnens. Hier geht es um mehr, als in einzelnen Wohnungen unter einem Dach zu leben und Ressourcen zu teilen. Der Gemeinschaftsgedanke ist das Kernstück der Wohnform. Die Idee ist, sich gegenseitig im Alltag zu unterstützen: Die Älteren passen mal auf die Kinder auf, die Jüngeren kaufen dafür für die Älteren ein. Ein Mitbewohner der Hausgemeinschaft kann gut Fahrräder reparieren, dafür ist der andere ein Gartenfan und pflegt die Beete. Der eine bietet Hausaufgabenbetreuung für die Kinder an, dafür hat ein anderer handwerkliches Geschick und übernimmt Hausmeisteraufgaben. Jeder bringt sich auf seine Weise ein, es ist ein wechselseitiges Geben und Nehmen. Dabei geht es nicht nur um Hilfe. Es geht auch darum, in Geselligkeit zu leben, gemeinsam zu grillen, Karten zu spielen und vieles mehr. Dem Mehrgenerationenwohnen sind in der Ausgestaltung kaum Grenzen gesetzt.
Fazit: Beim Mehrgenerationenwohnen finden sich unterschiedliche Bedürfnisse unter einem Dach zusammen und jeder bringt sich entsprechend seiner Fähigkeiten ein. Es ist Wohnen in Privatsphäre, aber mit Gemeinschaftssinn, solidarisch und nachbarschaftlich.
Für wen eignet sich Mehrgenerationenwohnen?
Es gibt zwei Gruppen, die sich vermehrt für Mehrgenerationenwohnen interessieren: junge Familien und ältere Menschen. Es sind die beiden Altersgruppen, die sich in ihrer jeweiligen Lebenssituation am ehesten nachbarschaftliche Unterstützung und Austausch sowie ein Leben in Geselligkeit wünschen.
Grundsätzlich eignet sich die Wohnform für alle Menschen, die sich gut aktiv in eine Gemeinschaft einfügen können, die tolerant sind und andere Lebensmodelle respektieren. Wer sich als Einzelgänger bezeichnen würde, wird vermutlich nicht im Mehrgenerationenwohnen heimisch werden. Auch Egoismus und Selbstprofilierung sind K.-o.-Kriterien für so ein Projekt.
Gut zu wissen: Wer sich auf den Weg macht, Informationen zu Mehrgenerationenwohnen zu finden, stößt auch häufig auf den Begriff Mehrgenerationenhaus. Tatsächlich verbergen sich verschiedene Konzepte dahinter. Auch beim Mehrgenerationenhaus geht es um das generationsübergreifende Miteinander, jedoch nicht um das Zusammenwohnen. Mehrgenerationenhäuser sind Begegnungsstätten für Jung und Alt, die zum Austausch und gegenseitiger nachbarschaftlicher Unterstützung einladen: von Hausaufgabenbetreuung, über Sprachkurse für Migranten, Krabbelgruppen bis hin zu Unterstützungsangeboten für Pflegebedürftige. Jedes Haus – und es gibt über 500 in Deutschland – hat sein eigenes Konzept. Wo es überall Mehrgenerationenhäuser in Deutschland gibt, finden Sie über den entsprechenden Link am Ende des Textes.
Vorteile und Herausforderungen von Mehrgenerationenwohnen
Vorteile für junge Menschen
Mehrgenerationenwohnen bietet gerade für junge Familien viele Vorteile, hier ein paar Aspekte:
- oftmals günstigeres Wohnen
- Unterstützung bei der Kinderbetreuung
- Synergien nutzen (Alt hilft Jung und umgekehrt, was zu Entlastung im Alltag führt.)
- Wohnen in sozialer Vielfalt, was gegenseitiges voneinander Lernen fördert
- gemeinsame Nutzung von Ressourcen wie Gemeinschaftsräume und Sharing-Angebote (Auto, Werkzeug etc.)
- Teilen von Dienstleistungen (evtl. Gärtner, Putzdienst etc.)
- leichter soziale Kontakte knüpfen
- in Geselligkeit Leben
Vorteile für ältere Menschen
Mehrgenerationenwohnen bietet auch für ältere Menschen viele Vorteile:
- soziale Kontakte knüpfen/soziale Integration in eine Gemeinschaft
- Vorbeugung von Vereinsamung
- „sinnvolle“ Aufgabe finden (z.B. anderen bei der Kinderbetreuung helfen)
- selbst Unterstützung im Alltag erhalten
- auch bei Pflegebedürftigkeit möglicherweise länger im gewohnten Umfeld leben können, weil es Hilfe durch die Gemeinschaft gibt
- Erfahrungen weitergeben und sich „gebraucht“ fühlen
Herausforderungen des Mehrgenerationenwohnens
Neben vielen Vorteilen bietet Mehrgenerationenwohnen natürlich auch zahlreiche Herausforderungen.
- Standort: Wer sich auf den Weg macht, Mehrgenerationenwohnen zu verwirklichen, muss darauf gefasst sein, möglicherweise in einen anderen Stadtteil, eine andere Kommune oder auch weiter wegzuziehen. Ein Projekt vor der eigenen Haustür verwirklichen zu können, ist oft nicht realistisch, etwa weil sich keine Gruppe für eine Baugemeinschaft findet, weil es kein geeignetes oder bezahlbares Grundstück gibt.
- Privatheit: Jeder hat seinen privaten Bereich und es gibt keinen Zwang, ständig alles in Gemeinschaft tun zu müssen. Dennoch bleibt es ein gemeinschaftliches Wohnprojekt, das heißt: Rückzug und Privatheit gibt es sicherlich nicht in dem Maß, als würde man alleine leben.
- Organisation: Mehrgenerationenwohnen erfordert viel Organisation und Abstimmung mit anderen. Es benötigt viel Kommunikation und Konfliktfähigkeit.
- Verantwortung: Wer sich für so ein Wohnprojekt entscheidet, trägt Mitverantwortung für das Gelingen: Zusagen wollen eingehalten werden, sowohl, was die Finanzierung des Projektes angeht, wenn es neu gegründet wird, als auch, was Zusagen angeht, anderen Mitbewohnern zu helfen, wenn alle eingezogen sind.
- Ausdauer: Eines müssen sich alle Interessierten klarmachen: Ein solches Wohnprojekt auf die Beine zu stellen, ist ein großes Stück Arbeit. Insofern eignet es sich auch nur für Menschen mit langem Atem und starkem Willen. Denn in der Regel gibt es kaum bestehende Wohnprojekte, in die man einfach einsteigen kann. Vielmehr muss sich eine neue Gruppe von Menschen zusammenfinden, die ein Projekt gründet. Und dazu gehört viel Gemeinschaftssinn und Engagement: Mitstreiter finden und sich als Gruppe zusammenzuschweißen, ein Wohnkonzept in Gruppenarbeit erarbeiten, es dann auch praktisch umsetzen, inklusive Finanzierung. Beim Mehrgenerationenwohnen vergehen von der ersten Idee bis zum Einzug mehrere Jahre.
- Pflegebedürftigkeit: Mehrgenerationenwohnen ist nicht darauf ausgelegt, als alter Mensch von der Hausgemeinschaft gepflegt zu werden. Es ist keine Alternative für betreutes Wohnen oder Wohnen in einem Pflegeheim. Wer pflegebedürftig ist, wird professionelle Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Dennoch bleibt bei einer Pflege zu Hause natürlich die soziale Bindung an die Hausgemeinschaft bestehen. Man achtet nachbarschaftlich aufeinander, hilft sich weiterhin aus und bemerkt vielleicht auch als Nachbar eher, dass ein Mitbewohner zunehmend auf Hilfe angewiesen ist und nicht mehr alleine zurechtkommt. Die Hausgemeinschaft kann eine wichtige Schnittstelle darstellen zwischen Pflegedienst und Pflegeperson.
Modelle des Mehrgenerationenwohnens
Es gibt viele verschiedene Modelle des Mehrgenerationenwohnens. Welches eine Gruppe für ihr Projekt wählt, entscheidet mit über die Finanzierung.
Umbau einer Bestandsimmobilie
Grundsätzlich ist es natürlich möglich, ein bestehendes Wohnhaus umzubauen und mit mehreren Parteien zu nutzen. Eine Familie, die sich entscheidet, mit den Großeltern zusammenzuziehen, hat vielleicht am ehesten die finanziellen Möglichkeiten, eine bestehende Immobilie umzubauen, sodass jeder seinen Privatbereich hat.
Eigentums- oder Mietmodell
Findet sich aber eine Gruppe aus vielen verschiedenen Kleinfamilien, Paaren und Einzelpersonen zusammen, werden eher Neubauprojekte verwirklicht. Je nachdem welche finanziellen Möglichkeiten die Gruppe hat, kann man Mehrgenerationenwohnen als Eigentumsprojekt oder auch als Mietprojekt beziehungsweise als Genossenschaft umsetzen. Denkbar ist ein Mietprojekt auch über ein Investorenmodell: Ein kommunales Wohnungsbauunternehmen beispielsweise verwirklicht Mehrgenerationenwohnen als Investor und vermietet die Wohnungen.
- Beispiel Baugemeinschaft: Findet sich eine Gruppe zusammen, die Mehrgenerationenwohnen als Eigentumsmodell verwirklichen möchte, etwa, weil alle Mitstreiter die finanziellen Möglichkeiten haben, können sie eine Baugemeinschaft bilden. Das Grundstück wird dann gemeinsam gekauft, während die darauf entstehenden Wohnungen jeweils den einzelnen Mitgliedern der Baugemeinschaft gehören. Jeder erwirbt möglicherweise unterschiedlich große Flächen, außerdem gibt es Gemeinschaftsflächen, die allen gemeinsam gehören. Die Besitzverhältnisse werden vertraglich vor einem Notar festgelegt. Meist schließen sich solche Baugruppen zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammen. Die Mitglieder schließen einen Gesellschaftsvertrag und ernennen eine Person, die die GbR nach außen vertritt. Baugemeinschaften haben die Möglichkeit günstiger zu bauen, unter anderem, weil sich Handwerkerkosten oft durch die Größe des Baus reduzieren und Kosten für den Architekten, die Erschließung sich anteilig auf die Mitglieder der Baugruppe verteilen.
- Beispiel Genossenschaft: Häufig wird Mehrgenerationenwohnen als Genossenschaftsmodell entwickelt. Das Genossenschaftsmodell eignet sich vor allem deshalb für ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt, weil die späteren Mieten vergleichsweise günstig sind, alle Genossenschaftsmitglieder gleiche Rechte haben, ein Mitbestimmungsrecht über die Verwendung des Gesamtinvestments genießen und auch ein lebenslanges Nutzungsrecht haben.
Genossenschaften haben in den vergangenen Jahren einen wahren Boom erlebt. Während Mitglieder einer Baugemeinschaft Eigentümer sind, sind die Mitglieder einer Genossenschaft Mieter. Bei der Genossenschaft bleiben Grundstück und Wohnungen im Eigentum der Gemeinschaft. Das Wohnrecht in einer Genossenschaftswohnung gilt lebenslang.
Eine Gruppe kann selbst eine Genossenschaft gründen. Dazu sind mindestens drei Personen nötig. Je mehr Mitglieder es gibt, desto günstiger wird natürlich der Bau. Einfacher – und auch günstiger – ist es, sich einer bereits bestehenden Wohnungsbaugenossenschaft anzuschließen. Es gibt durchaus Genossenschaften, die Bestandsimmobilien haben, aber auch immer wieder Neubauprojekte anschieben oder es einer Gruppe ermöglichen, eine Kooperation einzugehen. Allerdings sind diese Angebote noch nicht die Regel.
Herausforderung: Grundstück finden
Der Erwerb eines Grundstücks unter der Trägerschaft einer Baugemeinschaft oder einer Genossenschaft ist eine der größten Hürden für das Verwirklichen eines Mehrgenerationen-Wohnprojektes. Grundstückspreise und Baukosten sind exorbitant gestiegen und in Ballungsräumen wie München ist es kaum möglich, auf dem freien Markt ein bezahlbares Grundstück für ein Wohnprojekt zu finden. Deshalb sind solche Projekte in der Regel auf die Unterstützung von Kommunen angewiesen, die solche Projekte fördern. Kommunen sind, sofern sie überhaupt Grundstücke haben, häufiger gewillt, ein Grundstück an eine Genossenschaft zu vergeben (zum Beispiel in Erbpacht),als es an eine private Baugemeinschaft zu verkaufen. Kommunen vergeben solche Grundstücke oft über ein Konzeptverfahren: Gruppen bieten ein Konzept an, das für die Gemeinde einen sozialen Mehrwert darstellt, etwa weil eine bestimmte Anzahl von Menschen mit einer Behinderung oder ältere Menschen mit Hilfebedarf einbezogen werden oder Ähnliches.
Finanzierung und Fördermöglichkeiten
Finanzierung
Das jeweilige Trägermodell des Mehrgenerationenwohnens entscheidet über die Art der Finanzierung des Projekts. Bei einem Eigentumsprojekt muss jedes Gruppenmitglied selbst für seinen Anteil die Finanzierung sicherstellen. Jedes Mitglied einer Baugemeinschaft kann die Finanzierung über die eigene Bank regeln, oder aber die Baugemeinschaft wendet sich gemeinsam an eine Bank. Von Vorteil ist es, wenn die Bank schon Erfahrung im Umgang mit Baugemeinschaften mitbringt.