Kindergeld nach Abitur: Was gilt in der Zeit vor Studiums- oder Ausbildungsbeginn?
Hunderttausende Schüler machen jedes Jahr Abitur. Ist ein Kind zu diesem Zeitpunkt bereits 18 Jahre alt, stellt sich für die Eltern die Frage: Was wird aus dem Kindergeld? Viele Familien sind zur Ausbildungsfinanzierung auf das Kindergeld angewiesen. Hier kann sich der Nachweis zum Teil recht komliziert gestalten in der Zeit bis zum Studienbeginn – und die zieht sich bei vielen Schulabgängern oft über ein Jahr hin.
Ein Beispiel: "Ohne Antrag läuft jetzt nichts mehr", erfuhr Ulf S. aus Köln, als er bei der zuständigen Familienkasse anrief. Sein Sohn Alexander ist volljährig und hat Abitur gemacht. Deshalb hat die bei der Arbeitsagentur angesiedelte Familienkasse dem Vater einen "Antrag zur Weitergewährung des Kindergeldes" zugeschickt. Darin hat Ulf S. zunächst bei Punkt drei eingetragen, dass sich sein Kind bis zum 31. Juli in Schulausbildung befinde, denn in NRW endet das Schuljahr offiziell nach dem dort geltenden Schulgesetz an diesem Tag. Ab August musste Ulf S. der Familienkasse immer wieder Nachweise für seine Kindergeldberechtigung vorlegen. Einfacher ist dies für ihn jetzt mit dem Studienbeginn des Sohnes im Oktober 2023.
Kindergeld nach Schule: Gesetzliche Pausen-Regelung
Auch in Übergangszeiten kann ein Anspruch auf Kindergeld bestehen. Dafür sorgt die gesetzliche "Pausen-Regelung" in Paragraf 32 des Einkommensteuergesetzes. Danach gibt es die steuerlichen Kinderfreibeträge und das Kindergeld "in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten" weiter. Abgesichert sind damit unter anderem Pausen zwischen zwei Ausbildungsabschnitten, zwischen Ausbildung und Freiwilligem Wehrdienst oder anerkannten Freiwilligendiensten.
Was die Sprösslinge in diesen Übergangszeiten machen, spielt keine Rolle. Sie können also beispielsweise einen längeren Auslandstrip einlegen oder einen Vollzeitjob ausüben. Wichtig ist nur: Die Pause darf nicht länger als vier volle Monate dauern, sonst kann das Kindergeld für die komplette Zeit entfallen. Die Übergangszeiten-Regelung kann beliebig oft genutzt werden.
Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ): Genereller Kindergeldanspruch
Während eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) besteht Anspruch auf Kindergeld – soweit die Freiwilligen noch nicht 25 Jahre alt sind. Hinsichtlich einer Erwerbstätigkeit neben dem Freiwilligendienst wird unterschieden zwischen Kindern, die bislang noch keine Berufsausbildung hinter sich haben, und Ausgebildeten. Kinder mit Ausbildung dürfen während des FSJ nebenher allenfalls einen Job mit maximal 20 Wochenstunden ausüben – sonst entfällt der Kindergeldanspruch der Eltern. Eine solche Beschränkung gibt es für Kinder, die noch keine Ausbildung absolviert haben, nicht. Die gleichen Regeln gelten für Kinder im Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) oder in einem anderen anerkannten Freiwilligendienst.
Kindergeld bei Auslandsjahr
Viele Sprösslinge legen nach dem Abitur ein Auslandsjahr ein. Manche entscheiden sich für eine längere Zeit, zum Beispiel bei "Work and Travel", andere arbeiten als Au-pair. Vom Grundsatz her besteht in diesen Zeiten kein Anspruch auf Kindergeld – es sei denn, im Ausland findet in gewissem Umfang "Bildung" statt. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) am 15. März 2012 entschieden. Dabei stellten die obersten Finanzrichter Grundsätze auf, in welchen Fällen Eltern bei einem Auslandsaufenthalt ihres Kindes Kindergeld zusteht. Es muss sich nicht um eine staatlich geregelte Ausbildung handeln, auch ein bestimmtes Berufsziel muss nicht angestrebt werden. Als Berufsausbildung im Sinne des Kindergeldrechts zählt der Auslandsaufenthalt auch,
- wenn eine Ausbildungs- oder Prüfungsordnung zwingend einen Auslandsaufenthalt von bestimmter Dauer vorschreibt. Art und Umfang des Fremdsprachenunterrichts müssen durch die Ordnung nicht vorgeschrieben werden,
- wenn der Auslandsaufenthalt der Vorbereitung auf eine Fremdsprachenprüfung dient, deren Ablegen in einer Prüfungs- oder Ausbildungsordnung vorgeschrieben ist,
- wenn das Kind an systematischem Sprachunterricht im Umfang von mindestens zehn Stunden in der Woche teilnimmt.
Im vom BFH konkret entschiedenen Fall ging es um eine 20-jährige Tochter, die nach dem Ende ihrer Schulausbildung für elf Monate als Au-pair nach England gegangen war. Sie hatte hier nur weniger als zehn Stunden pro Woche Englischunterricht an einem College. Die sprachliche Unterweisung durch ihre Gastmutter erkannte das Gericht nicht als "theoretisch-systematischen Fremdsprachenunterricht" an – zumal diese auch keine Lehrqualifikation hatte. Die Folge: Das Kindergeld für die Zeit im Ausland wurde verwehrt (Az.: III R 58/08). Bei Kindern, die ein Freiwilliges Soziales oder Freiwilliges Ökologisches Jahr im Ausland ableisten, müssen sich die Eltern übrigens keine Sorgen um das Kindergeld machen. Es wird für unter 25-Jährige weitergezahlt.
Biallo-Lesetipp: Viele junge Leute legen nach der Schulzeit auch ein sogenanntes Gap Year ein oder machen Work & Travel – ein Jahr Auszeit zwischen zwei Lebensabschnitten – um sich zu orientieren. Wer ein ein solches "Lückenjahr" plant, sollte sich vorher genau informieren. Was in der Auszeit nach dem Schulabschluss bei Kindergeld, Krankenschutz und Steuern gilt und wie man das Gap Year richtig plant, erfahren Sie in einem weiteren Beitrag auf biallo.de.
Kindergeld bis 25: bei Studium und schulischer oder beruflicher Ausbildung
In der Studienzeit gibt es Kindergeld. Ebenso während einer sonstigen Ausbildung, maximal in der Regel bis 25. Nahezu jegliche schulische und berufliche Ausbildung von Söhnen und Töchtern im Alter von bis zu 25 Jahren führt zu einem Kindergeldanspruch der Eltern. Dies gilt nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 9. Juni 1999 (Az.: VI R 34/98) beispielsweise auch für eine Collegeausbildung in den USA, die nicht zu einem eigenständigen Berufsabschluss führt.
Kindergeld und Praktikum
Als Berufsausbildung zählt auch, wenn ein volljähriges Kind sich in einem Praktikum oder einer Schulung intensiv auf seinen angestrebten Beruf vorbereitet hat. Das entschied das Finanzgericht Köln am 3. März 2010 im Falle einer jungen Frau, die eine Schulung zur Flugbegleiterin besuchte (Az.: 10 K 212/09, rechtskräftig – auf die Revision wurde verzichtet). Praktika, die im Rahmen einer Ausbildung vorgeschrieben sind, zählen ohnehin als Berufsausbildung.
Erstmalige Berufsausbildung, Erststudium, Abendschule
Dieses weite Verständnis von Berufsausbildung wurde auch in der Gesetzesbegründung, mit der 2011 die Neuregelungen mit dem Wegfall der Einkommensgrenze kommentiert wurden, nochmals hervorgehoben. Darin heißt es: "Durch die generelle Berücksichtigung von Kindern bis zum Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung beziehungsweise eines Erststudiums werden die schon bislang begünstigten Fälle ohne weitere Prüfungen auch künftig berücksichtigt, ohne dass der Umfang der begünstigten Fälle wesentlich erweitert wird. Begünstigt sind auch Ausbildungsgänge (zum Beispiel Abendschulen, Fernstudium), die neben einer (Vollzeit-) Erwerbstätigkeit ohne eine vorhergehende Berufsausbildung durchgeführt werden. Durch eine Begünstigung dieser Fälle wird auch dem sozialpolitischen Aspekt Rechnung getragen, dass insbesondere Kinder aus Familien mit geringem Einkommen hiervon erfasst werden."
Referendariat, Vorbereitungsdienst und Co.
Auch während der Referendarzeit kann Anspruch auf Kindergeld bestehen. Als Berufsausbildung zählen weiterhin eine Reihe von Ausbildungsgängen, in denen vielfach Entgelte gezahlt werden, die es den Betroffenen mitunter ermöglichen, unabhängig von ihren Eltern zu leben. Das gilt natürlich nur dann, wenn Sprösslinge sich mit ihrer Ausbildung beeilt haben und bei der Ausbildung noch nicht 25 Jahre alt sind. Dies betrifft unter anderem
- den Vorbereitungsdienst der Lehramts- und Rechtsreferendare,
- den Vorbereitungsdienst der Beamtenanwärter,
- die in Berufen des Sozialwesens und der nicht-ärztlichen medizinischen Hilfstätigkeiten im Anschluss an die schulische Ausbildung zu leistenden Berufspraktika, die Voraussetzung für die staatliche Anerkennung in dem ausgebildeten Beruf und die Berufsausübung sind.
Ausbildung und die Voraussetzungen für Kindergeldbezug
Berufsziel: Ob die Ausbildung sinnvoll, vernünftig oder chancenreich ist, haben die Familienkassen dabei nicht zu prüfen. Nach der geltenden Dienstanweisung zum Kindergeld wird das Berufsziel "weitgehend von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt; diese haben bei der Ausgestaltung der Ausbildung einen weiten Entscheidungsspielraum". Das Berufsziel kann sich danach "auf grundsätzlich jede Tätigkeit beziehen, die in der Zukunft zur Schaffung beziehungsweise Erhaltung einer Erwerbsgrundlage nachhaltig gegen Entgelt ausgeübt werden kann".
Zeitlicher Umfang: Die Ausbildung muss die Zeit und die Arbeitskraft des Kindes so in Anspruch nehmen, dass "Bedenken gegen die Ernsthaftigkeit ausgeschlossen werden können". Das wird vor allem bei Ausbildungsgängen zum Thema, bei denen es keine regelmäßige Anwesenheitspflicht gibt (zum Beispiel Fernuniversitäten und andere Fernlehrgänge). Hier müssen gegebenenfalls Leistungsnachweise vorgelegt werden, die Aufschluss über die Fortschritte des Lernenden geben". Eine tatsächliche Unterrichts- beziehungsweise Ausbildungszeit von zehn Wochenstunden kann regelmäßig als ausreichende Ausbildung anerkannt werden. Soweit weniger als zehn Wochenstunden erforderlich sind, kann nach der Dienstanweisung zum Kindergeld eine Ausbildung nur dann als für einen Kindergeldanspruch der Eltern ausreichend anerkannt werden, wenn
- "das Kind zur Teilnahme am Schulunterricht zur Erfüllung der Schulpflicht verpflichtet ist (BFH vom 28.4.2010 - BStBl II S. 1060),
- der zusätzliche ausbildungsbezogene Zeitaufwand über das übliche Maß hinausgeht oder
- die besondere Bedeutung der Maßnahme für das angestrebte Berufsziel dies rechtfertigt".