Das Abitur in der Tasche, Wehr- und Zivildienst abgeschafft – das quasi geschenkte Jahr nutzen viele junge Leute für eine Auszeit vom Lernen, als Chance zur Orientierung und für ein großes Abenteuer: Allein – oder zu zweit – bereisen sie selbstständig und unabhängig Monate lang ein fremdes Land. Und das mit dem guten Gefühl, nicht auf wohlwollende Sponsoren wie Eltern, Oma und Opa oder Paten angewiesen zu sein. Denn vor Ort krempeln die Work-and-Traveller die Ärmel hoch und verdienen mit allen möglichen Jobs das Geld für ihren Auslandstrip.
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Working Holiday: Was ist Work and Travel?
Die Chance zu Work and Travel gibt es noch gar nicht so lange. Im Jahr 2000 schlossen Australien und Japan die ersten bilateralen Abkommen mit Deutschland über ein Working Holiday (WH) Visum. Die Vereinbarungen sollen es jungen Leuten zwischen 18 und meist 30 Jahren ermöglichen, ein Land intensiv auf eigene Faust zu bereisen und das nötige Geld dafür weitgehend vor Ort zu verdienen – ein Konzept, das offensichtlich großen Anklang findet mit klaren Präferenzen.
Work and Travel Länder
Nach Australien und Japan folgten Neuseeland (2001), Kanada (2004), Singapur (2007), Hongkong (2009), Südkorea (2009), Taiwan (2010), Chile (2014), Israel (2014), Argentinien (2016), Uruguay (2017) und zuletzt Brasilien – hier ist das Abkommen zwar unterschrieben, aber noch nicht in Kraft getreten. Auf der Beliebtheitsskala für ein Work and Travel Jahr ganz oben stehen Australien mit jährlich durchschnittlich 22.000 Visa, gefolgt von Neuseeland (ca. 14.000) und Kanada (ca. 4.500).
Working Holiday fördert intensiven gemeinsamen Austausch
Entstanden ist die Idee der Working Holidays im Commonwealth of Nations als intensiver Austausch junger Erwachsener zwischen Mitgliedsstaaten. 1975 trafen Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada dafür die ersten bilateralen Abkommen. Seitdem ist daraus eine internationale Bewegung geworden, die in Zeiten von Fremdenfeindlichkeit und Abschottung wichtiger denn je ist.
"Working Holiday […] dienen der Förderung besseren gegenseitigen Verständnisses […] und zugleich der Erweiterung der internationalen Perspektive junger Menschen", schreibt die japanische Botschaft auf ihrer Internetseite. Das sah auch Angela Merkel so. Als im Januar 2017 der damalige neuseeländische Premierminister Bill English zum Antrittsbesuch nach Berlin kam, war Work and Travel – neben allen Krisen – ein Thema auf der Agenda. "Das Programm Working Holiday hat 2016 immerhin 16.000 junge Deutsche nach Neuseeland gebracht", betonte die damalige Kanzlerin. "Das ist schon ein Faktor des intensiven gemeinsamen Austauschs."
Mit Working Holiday-Visum unterwegs
In den zwei Jahrzehnten seit den ersten Abkommen sind die jobsuchenden Backpacker in den drei auch weltweit beliebtesten Work and Travel Klassikern nicht nur ein alltäglicher Anblick, sondern teils fester Bestandteil des Arbeitsmarkts geworden. Im australischen Obst- und Gemüseanbau beispielsweise waren vor Corona von den 75.000 Beschäftigten 40.000 Saisonkräfte mit WH-Visum. Kein Wunder, dass das Land bereits am 15. Dezember 2021 die Grenzen wieder für Work and Traveller geöffnet hat. Und in Neuseeland verlängern sich WH-Visa, die am 31. Mai 23 auslaufen, automatisch um sechs Monate, denn Arbeitskräfte werden dringend gebraucht.
- Biallo-Lesetipp: Sie sind Studentin oder Student und möchten in den Semesterferien ihre Urlaubszeit nicht nur zum Relaxen nutzen, sondern sich vor Ort nützlich machen? Voluntourismus ist die Kombination aus ehrenamtlichem Engagement und Urlaubsreise. Lesen Sie mehr dazu in einem weiteren Ratgeber von uns.
Viele junge Leute nutzen auch ein sogenanntes Gap Year – ein Jahr Auszeit zwischen zwei Lebensabschnitten – um sich zu orientieren. Wer ein ein solches "Lückenjahr" plant, sollte sich vorher genau informieren. Was in der Auszeit nach dem Schulabschluss bei Kindergeld, Krankenschutz und Steuern gilt und wie man das Gap Year richtig plant, erfahren Sie in einem weiteren Beitrag auf biallo.de.
Work and Travel Australien, Neuseeland, Kanada – wo soll die Reise hingehen?
Auch für Jordana Schmidt war dank der positiven Erfahrungen vieler Work-and-Traveller schnell klar, wohin die Reise 2015 nach dem Abi gehen sollte: "Australien ist das perfekte Work-and-Travel-Land für Leute, die davor noch nicht viel gereist sind. Der Einstieg ist dort sehr einfach, man findet schnell interessante Jobs und kann das mit dem Reisen gut verbinden."
Die Spitzenreiter in der Beliebtheitsskala Australien und Neuseeland punkten nicht nur mit einer seit Jahrzehnten auf jobbende Globetrotter eingestellten Infrastruktur mit genügend Jobs, Unterkünften, Informationsstellen und Hilfsangeboten wie speziellen Arbeitsvermittlungen. Ebenso attraktiv sind die spektakuläre Natur, Vielfalt der Freizeit- und Sportmöglichkeiten, Begegnung mit Gleichgesinnten aus aller Welt und die englische Sprache. Das ausschlaggebende Kriterium für viele aber ist: Nach Down Under fliegt man nicht mal eben für einen Zwei-Wochen-Urlaub. Dieses Auslandsjahr ist die große, vielleicht einmalige Chance, das andere Ende der Welt kennenzulernen.
Work and Travel wohin – was sind meine Ziele?
Viele gute Argumente. Dennoch – wer Working Holidays plant, sollte sich zunächst nüchtern fragen:
- Was erwarte ich von dem Auslandsaufenthalt?
- Welche Ziele verfolge ich damit?
- Reicht es mir, Spaß zu haben und eine unvergessliche Auszeit zu erleben?
- Oder möchte ich eine Sprache perfektionieren?
- Eine neue Sprache erlernen?
- Erhoffe ich mir einen beruflichen Vorteil?
Working Holiday Mehrwert: Sprache, Kultur, Orientierung
Geht es mir wie der Mehrheit in der Travel-Works-Umfrage um die Entwicklung meiner Persönlichkeit? Darum, Abenteuer zu erleben und Leute kennenzulernen? Vermutlich bringt das jedes Work-and-Travel-Jahr mit sich. Vielleicht kann man dem einen Mehrwert hinzufügen:
- Die zweite und damit schwächere Fremdsprache aus der Schule wie Französisch oder Spanisch perfektionieren.
- Eine ganz neue Sprache erlernen. Mit einem vorgeschalteten Sprachkurs im Land und eventuell einer unterstützenden Agentur ist das durchaus möglich.
- Ein Auslandsjahr im Lebenslauf ist prinzipiell von Vorteil. Belegt es doch u.a. Offenheit, Neugier, Selbstvertrauen, Flexibilität.
- Kommen Kenntnisse der Kultur und Sprache eines für Europäer eher ungewöhnlichen Landes wie Japan oder Südkorea hinzu, kann sich das zu einem wahren Karriere-Push entwickeln.
- Jobs oder Praktika können zur beruflichen Orientierung beitragen oder wertvoll für das bestehende oder künftige Berufsfeld sein. Besonders in Gastronomie und Tourismus sind mit etwas Geduld passende Arbeitsstellen zu finden.
Die Work-and-Travel-Zeit in einem Land mit vollkommen anderer Kultur und zunächst geringen Sprachkenntnissen zu verbringen, ist sicher eine ganz besondere Herausforderung und braucht viel Mut. Aber "an Herausforderungen", so die Experten von Auslandsjob.de "wächst man auch und so kann es sein, dass du beim Work & Travel in einem eher ungewöhnlichen Land das meiste für dich und dein Leben mitnimmst".
- Lesetipp: Reisezeit? Die schönsten Wochen des Jahres können auch zum Albtraum werden, wenn Sie im Ausland krank werden, die Reise abbrechen müssen oder Ihre Koffer gestohlen werden. Erst recht, wenn es keine Reiseversicherung gibt, die zumindest den finanziellen Schaden ausgleicht. Einige Versicherungen für den Urlaub sind sinnvoll, andere eher überflüssig. Unser Ratgeber zu diesem Thema hilft weiter!
Work and Travel Organisationen
Während die Organisation eines Work-and-Travel-Aufenthalts in Australien, Neuseeland oder Kanada relativ unkompliziert ist, sieht das in Ländern mit wenig Erfahrung in dem Bereich schon etwas schwieriger aus. Hier können Agenturen für Auslandsaufenthalte wie Stepin, Praktikawelten oder AIFS wertvolle Unterstützung bieten.
Je nach Umfang, von Beratung bis Rundumsorglos-Paket, kostet der Service ab zusätzlich etwa 400 Euro. Empfehlenswert ist die Buchung über eine Organisation vor allem für Asien-Reisende. Denn dort, so Jane Jordan vom Beratungsportal auslandsjob.de, "gibt es eine ganz andere Infrastruktur und sehr spezielle Arbeitsmodelle".